Atom-Unfall als „Weckruf“ für Seibersdorf

Nach Plutonium-Unfall will die Internationale Atomenergiebehörde mehr Geld für ihr Labor in Niederösterreich.

WIEN/SEIBERSDORF. Seibersdorf, der am besten auf Radioaktivität kontrollierte Ort Österreichs. „Wenn hier etwas mit strahlendem Material passiert, ist das, als ob in der Feuerwehrzentrale ein Brand ausbricht“, zeigt sich Michael Hlava, Sprecher der Austrian Research Centers (ARC), zuversichtlich. Und passiert ist etwas: Bei dem „Untermieter“ des ARC, im Labor der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA, die seit 1962 einen 15.000 Quadratmeter großen Teil des Areals um den symbolischen Preis von einem Euro im Jahr gemietet hat, ist in der Nacht auf Sonntag eine Flasche mit rund 0,2 Gramm in Säure gelöstem Plutonium leck gegangen.

Überdruck habe die versiegelte Flasche in einem Safe zum Bersten gebracht, heißt es von der IAEA, Fremdeinwirkung wird ausgeschlossen. Eine Untersuchung des Unfallhergangs ist noch im Gange, sicher ist bereits, dass aus dem Labor keine Radioaktivität nach außen gelangt ist. Nur innerhalb des zum Zeitpunkt des Vorfalls leeren und seither abgeriegelten Gebäudes schlugen die Luftfilter Alarm. Weder die Messungen der IAEA noch jene des Umweltministeriums stellten außerhalb des Labors schädliche Strahlung fest.

IAEA will 27 Millionen Euro

Trotzdem, der Vorfall lenkt gerade dieser Tage, da die Debatte um Für und Wider der Atomkraft erneut auflebt und sich Berichte über radioaktive Zwischenfälle häufen, mediale Aufmerksamkeit auf das Labor in Seibersdorf. Aufmerksamkeit, die die IAEA-Führung zu nutzen weiß: Deren Vizedirektor Werner Burkart hat am Montag erneut mehr Geld von den 144 Mitgliedsstaaten gefordert, um das Labor zu modernisieren. Schon im vergangenen November hatte IAEA-Chef Mohamed ElBaradei erklärt, dass 27,2 Millionen Euro an Investitionen nötig seien, um das Labor am Stand der Technik zu halten. Einer der Punkte, die nach ElBaradeis Plänen verbessert werden sollten, betraf die Sicherheit der Anlage. Die damals kritisierten Mängel hätten nichts mit dem jetzigen Vorfall zu tun, sagt Peter Rickwood, Sprecher der IAEA. Bei den Vorschlägen im November sei es um externe Sicherheit gegangen; darum, den Diebstahl radioaktiven Materials zu verhindern. Dennoch: Der Unfall sei ein „Weckruf“, die Modernisierung der Anlage anzugehen, hofft Vizedirektor Burkart.

„Vorfall nicht überbewerten“

In den 25 Jahre alten Labors werden regelmäßig Proben aus Atomkraftwerken und Krisenregionen untersucht. 2003 wurde in Seibersdorf nachgewiesen, dass der Irak keine Massenvernichtungswaffen besaß. 180 Mitarbeiter arbeiten in den IAEA-Labors, der Zugang wird sowohl von der österreichischen Polizei als auch dem eigenen Sicherheitspersonal der internationalen Organisation, die ihren Sitz in der Wiener UNO-City hat, überwacht.

„In Seibersdorf arbeitet man mit tausenden Proben“, erklärt Gerhard Winkler vom Institut für Isotopenforschung und Kernphysik der Universität Wien. Man solle den Vorfall nicht überbewerten, die Gefahr sei überschaubar. Plutonium sende schwache Alphastrahlen aus und sei in geringer Konzentration nur dann schädlich, wenn es in den Körper gelange, etwa eingeatmet werde. Labors wie jenes der IAEA filtern ihre Abluft aber so, dass Strahlung nicht nach außen gelangen könne.

Das bestätigt auch der für Strahlenschutz zuständige Sektionschef im Umweltministerium, Günther Liebl: Rund um das Forschungszentrum Seibersdorf seien nie erhöhte Strahlungswerte gemessen worden, das werde regelmäßig überprüft. Und auch in Seibersdorf gibt man sich gelassen: Bürgermeister Paul Renner (VP) spricht von einem Zwischenfall, der die Gemeinde nicht weiter beunruhige. Die IAEA betreibe eine sehr offene Informationspolitik, das Forschungszentrum erfülle alle Auflagen und sei ein Gewinn für die Gemeinde – der auch Arbeitsplätze schafft. Meinung Seite 27

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.08.2008)

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