Frequency: Pop-Festspiele der Marotten

Tricky
Tricky(c) EPA (Andreas Pessenlehner)
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Festival am Salzburgring, Tag zwei und drei: Der „Killers“-Sänger wollte nicht ins Bild, „Tricky“ nicht ins Licht. Die „Babyshambles“ kamen gleich gar nicht.

Kalt-warme Gefühle am Gelände: War der erste Tag des Salzburger „Frequency“ an vielen Stellen gar zu warm gewesen, musste man am Samstag an wenigen Stellen mit allerhöchstens 18 Grad auskommen. Dazwischen: ein trüber Regentag, wie gewohnt bei diesem Festival. Um schlotternde Gäste aufzupäppeln, waren Tee-Ausschank und Heizkanone flugs zur Stelle. Was auch wärmt und wovon es reichlich gab, war Musik.

Bei der englischen Elektro-Pop-Band I Am X zeigten Heißgetränke keine Wirkung. Der ehemalige Sneaker-Pimps-Frontmann Chris Corner verursachte – ähnlich dem gefühlten Frost – eine störrische Gänsehaut. Am frühen Abend des zweiten Festivaltages sprang er im schwarz-weißen Frack, zylindrisch behütet, mit einem über den Oberkörper gespannten roten Hosenträger auf die kleine „Green Stage“. Wo er mit seiner Band eine enthusiastische Show bot.

Bezaubernd: „I Am X“

Bei „Song Of Imaginary Beings“ aus dem zweiten Album „The Alternative“ präsentierte er nicht ohne Stolz seine geringelten Lack-Cowboy-Boots. Extrovertiert und doch tollpatschig: ein Höhepunkt des Festivals. Während die Boxen den Song „Nightlife“ pumpten, hob Janine Gebauer ihr Keyboard aus der Verankerung, Chris Corner wickelte sich das Mikrofon-Kabel um den Hals und ging – nicht zum ersten und letzten Mal – zu Boden. Peinlich? Nein, bezaubernd.

Chris Corner war nicht der einzige, auch die walisischen Manic Street Preachers hatten mit dem Mikrofon zu kämpfen. „Den hört man ja nicht!“, mahnte eine Stimme aus der Menge. Inbrünstig sang James Dean Bradfield „Motorcycle Emptiness“ – leider bekam das hinter der ersten Reihe keiner mit. Die Musiker verließen die Bühne. Pause. Fragende Blicke. Dann kamen sie zurück, spielten aus Solidarität vor der regenbeträufelten Hörerschaft „Umbrella“ von Rihanna: Die angereisten britischen Fans jubelten, alle anderen auch. Kurz: Manic Street Preachers, kraftvoll und schön.

Muskelstark: „Kaizers Orchestra“

Beim norwegischen Kaizers Orchestra stand dann Muskelkraft im Vordergrund. Auf den ersten Blick wirken die fünf Männer aus Bergen ja ganz artig: schicke, dunkle Anzüge, Schlagzeuger und Cellist tragen Vollbart, Omas Nachttischlampe auf dem Klavier. Eine friedliche Szenerie, glaubt man. Bis man die Gasmaske auf Jan Ove Ottesens Kopf bemerkt. Jetzt ist man wachsam. Mit dem Lied „Bøn Fra Helvete“ fangen sie auch schon ihre Baseballschläger und Brecheisen aus der Werkzeug-Kiste. Ab sofort werden Blechtonnen im Takt gehauen, statt dem herkömmlichen Tamburin kommt eine Felge zum Einsatz... vergnügliche Reise in die metallische Gypsy-Rock-Welt des Kaizers Orchestra!

Die besonderen Merkmale von Musikern können höchst unterschiedlich ausfallen: Die einen trommeln auf Schrott, die anderen überzeugen durch ihre Abwesenheit. „Babyshambles abgesagt“ las man auf den Video-Walls: Der englische Sänger Pete Doherty habe seinen Flug versäumt. Soll nichts Schlimmeres passieren. Der Reiz an dieser Band liegt ohnehin darin, sie nicht zu sehen. Dafür legten die Dirty Pretty Things – wie die Babyshambles ein Spross der ehemaligen Libertines – einen recht wackeren Auftritt hin: klassischer Randbezirkseckensteher-Britpop. Charmant.

Am Abend des dritten Tages schlug dann noch einmal ein Temperatursturz kräftig zu, hartnäckige „Frequency“-Gänger blieben freilich auf dem Platz. Zunächst vor der großen Bühne, bestiegen von den Killers, der Band aus dem leuchtenden, blitzenden Las Vegas. Offenbar um Brandon Flowers und seinen drei Kollegen den Aufenthalt im an Lichtspielen armen Flachgau zu erleichtern, wurden bald die ersten Sternspucker gezündet. Bei „Mr.Brightside“ und „This River Is Wild“ war die Stimmung ziemlich auf dem Siedepunkt, ansonsten brodelte es so dahin. Was möglicherweise auch daran lag, dass man Flowers nur in realen Maßen sieht, was aus 30 Meter Entfernung ein kleines Pünktchen ist. Der eigenwillige Musiker lässt sich nämlich nicht filmen.

Verdunkelt: Tricky

Adrian Thraw vulgo Tricky, düsteres Zentralgestirn am Triphop-Himmel, verweigert sich dafür allen weißen Scheinwerfern: Er will es schön dunkel haben, wenn er mit nacktem Oberkörper die kleine Festival-Bühne ins Finale treibt.

In schummriger, blauer Atmosphäre ging er ans Werk. Und gab alles. Spielte Stücke von der aktuellen Platte „Past Mistake“, spielte älteres Material wie „Pumpkin“ und sprang dabei förmlich ins Mikrofon, schüttelte den Kopf, sang und schrie so impulsiv, als wären ihm die Texte eben erst eingefallen. Ein Mann, der mehr wilde Visionen aus seinem Kopf drängt, als alle vier Killers gemeinsam aufbringen können. Nüchtern gesagt: ein intensiver Abschluss.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.08.2008)

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