Medizin/Genetik: Von der Rasse zum Individuum!

(c) AP (Michel Euler)
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Pionier Craig Venter hofft auf gen- maßgeschneiderte Therapien.

Falls James Watson, Mitentdecker der DNA, je an Depression erkrankt, wird sein Arzt gut daran tun, die Medikamente hoch zu dosieren. Falls Craig Venter, Sequenzierer des Humangenoms, das Gleiche passiert, wird er mit geringen Dosen auskommen. Der Unterschied liegt in CYP2D6, einem Gen, das beim Stoffwechsel mitspielt. Den treibt Venters Genvariante energisch voran, bei Watsons Variante hingegen geht es schleppend.

Das liest Venter aus seinem und Watsons Genom – sie haben als Erste ihre persönlichen Sequenzen in Händen –, es ist der wichtigste Aspekt der Genomerei, die viel Show und Enttäuschung gebracht hat: Manche Genvarianten erhöhen das Risiko mancher Leiden, andere bestimmen darüber, wie Medikamente wirken. Man weiß etwa schon lange, dass Psychopharmaka oder Herzmittel bei Schwarzen und Weißen anders anschlagen. Die Folgen sind drastisch: In den USA kommt es bei zwei Millionen Patienten im Jahr aufgrund der Gene zu „falschen“ Reaktionen auf Medikamente, etwa 100.000 sterben.

„Rassenbasierte Medizin“?

Schwarze, Weiße, Rassen? Im Jahr 2002 preschte die New Yorker Psychologin Sally Satel mit der Forderung nach „rassenbasierter Medizin“ vor, sie geriet unter Rassismusverdacht. Zu Unrecht, der Rassismus liegt bei denen, die aus politischer Korrektheit über die Differenzen hinwegsehen und so dafür sorgen, dass Menschen falsche Medikamente erhalten. Deshalb schloss sich die für Medikamente zuständige US-Behörde FDA der Forderung nach rassenspezifischer Medizin an, in den USA kam ein Herzmittel für Schwarze auf den Markt, BiDil.

Watson und Venter unterstützten das, aber Venter wollte immer einen Schritt weiter gehen und nicht das grobe Kriterium der Rasse angewandt sehen, sondern das feine des Individuums. Denn in dem kann viel stecken, Watson, ein Weißer wie Venter, erlebte es am eigenen Leib: Kaum war seinem – immer etwas losen – Mund entfahren, die Intelligenz der Schwarzen sei aus genetischen Gründen defizitär, da fanden sich in seinem Genom 16 Prozent „schwarze“ Gene (und neun Prozent „gelbe“). Auch seine CYP2D6-Variante kommt aus Asien.

Nicht alle teilen den Optimismus

„Die Kosten für Genanalysen sinken aggressiv“, erklärt nun Venter: „Man kann von der simplen Rassenzuordnung in die präzise Welt der persönlichen Genomik gehen“ (Clinical Pharmacology and Therapeutics, 84, S.306). Kann man, vom Geld her? Das Genom des Menschen kostete drei Milliarden Dollar, das Watsons 100 Millionen, das Venters 70, eine US-Firma bietet es für 100.000 an, die US-Gesundheitsbehörde NIH hat als Ziel 1000 vorgegeben.

Kann man, grundsätzlich? Nicht alle teilen Venters Optimismus: In Watsons Genom zeigten sich bei der Hälfte aller Gene kleine Abweichungen (SNPs) gegenüber dem Referenzgenom des Menschen. Aus dieser Wirre lasse sich kein medizinischer Nutzen ziehen, fürchtet etwa Maynard Olson (Seattle): „Was den klinischen Wert persönlicher Genome angeht, werden einige Investoren eine Pause einlegen.“ (Nature, 452, S.819)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.08.2008)

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