Alarm in Holland: Künstlicher Käse erobert das Land

(c) EPA (Koen Suyk)
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Gouda und Edamer kommen als „Ersatzkäse“ auf den Markt. In 25 bis 40 Prozent der Fertigmahlzeiten und Snacks kommt dieser bereits zum Einsatz.

Den Haag. Der Kuss ist ein Ritual. Jedes Jahr auf der Grünen Woche in Berlin verteilt die niederländische Käsebotschafterin Frau Antje leckere Käsehäppchen an die Besucher. Und jedes Mal auch an den jeweils amtierenden deutschen Bundespräsidenten, wenn dieser Frau Antje trifft. Noch während das deutsche Staatsoberhaupt auf seinem Gouda aus Holland kaut, küsst ihn Frau Antje zärtlich auf die Wange. Das ist Holland-PR von der lieblichen Art. Für den eigenen Käse. Dem deutschen Staatsoberhaupt gefällt's und Frau Antje punktet.

Doch nun vollzieht sich in den Niederlanden ein schleichender Käse-GAU. Verbraucherschutzverbände haben den Käse-Alarm ausgelöst. Ausgerechnet die Niederlande, die so stolz auf ihren Gouda und ihren Edamer sind, ausgerechnet Holland steigt nun auf Pseudokäse um. Der Prozess vollzieht sich ohne Wissen der Konsumenten. Statt Gouda und Edamer schwimmt nun immer öfter nur noch eine Pampe aus Palmöl, Stärke, Milcheiweiß und Salzen sowie Geschmacksverstärkern auf der Pizza beim Italiener, der Moussaka beim Griechen und auf den Cheeseburgern bei McDonalds in den Niederlanden. Der neue holländische Kunst-Käse nennt sich dann ganz nüchtern: „Analogkäse“. Das stellte die niederländische Lebensmittelkontrolle ,,Keuringsdienst van Waren“ jetzt fest.

Der TV-Sender RVU publizierte die wenig Appetit anregenden Ergebnisse. Den Lebensmittel-Experten zufolge sind 25 bis 40 Prozent des Käses in Fertigmahlzeiten und Snacks, auf Pizza und Pasta und zahlreichen anderen Produkten in den Niederlanden den „Pseudo-Käse“.

„Eine Frage des Geldes“

Der Markt für dieses Pseudoprodukt wächst in den Niederlanden rasant. Denn der Ersatzkäse ist viel billiger als der, der aus der Milch einer Kuh hergestellt wird. „Es ist eine Frage des Geldes“, meint Herman Brand, Manager beim Käsehandel Noordhoek.

Der neue Kunst-Käse hat laut Brand noch andere Vorteile: Er lässt sich modellieren und mixen. „Der eine Fabrikant will einen Käse haben, der schmilzt, der andere einen, der genau das nicht tut. Manche wollen den Käse noch bis 400 Grad im Ofen backen können. Indem wir herkömmlichen Käse mit Analogkäse mischen, können wir die gewünschten Eigenschaften liefern, die unsere Kunden vom Käse verlangen.“

Die niederländische Verbraucherschutzorganisation ,,Consumentenbond“ fand während umfangreicher Stichproben heraus, dass 30 Prozent des Käses, der auf Cheeseburgern von McDonald's in den Niederlanden verwendet wird, Analogkäse, also Kunst-Käse ist.

Breite Front gegen „Nepp-Käse“

Die als italienische Lasagne verkaufte Spezialität in der größten Supermarktkette des Landes Albert Heijn und die dort zu erhaltenden Pizzen enthalten nach Untersuchungen des ,,Consumentenbond“ 40 Prozent an Kunstkäse. In einer anderen Supermarktkette waren die italienischen Nationalgerichte Pizza und Lasagne mit 70 Prozent des Pseudo-Käses zubereitet worden.

Der Verbraucherschutzverband fordert daher eine großangelegte Untersuchung in Supermärkten und Gastronomieketten über die Verwendung des ,,Nepp-Käses“, wie er in den Niederlanden inzwischen genannt wird. Derzeit würden die Verbraucher argwillig getäuscht werden. Auf den Verpackungen ist der Analog-Käse als solcher nicht erkennbar.

Naturgemäß unterstützt auch die niederländische Dachorganisation für Milchprodukte den Verbraucherschutzbund: ,,Wir wollen echten Käse auf der Pizza. Für die niederländischen Käsebauern und für die Verbraucherschützer ist die Sache aber auch eine Frage der Moral. Doch, wie schon Bertolt Brecht wusste: Erst das Fressen, dann die Moral. Und so lange der holländische Pseudokäse fast genauso schmeckt wie der echte und dabei viel billiger ist, bleibt eben die Moral auf der Strecke.

Gourmets chancenlos

Selbst Gourmets müssen passen, weil sie den Geschmackunterschied zwischen dem Kunstprodukt und dem echten Kuh-Käse auf der Pizza kaum schmecken können. Hinzu kommt: Der Kunstkäse ist nicht gesundheitsschädlich. Sein einziger Vorteil: Mit dem Kunstprodukt, das sich unberechtigterweise Käse nennt, lässt sich richtig Kasse machen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.09.2008)

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