Hofburg: Österreichs Geschichte in einem Gebäude

(c) GEPA (Reinhard Mueller)
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Das bunte Sammelsurium an Stilen ist gewollt: Es sollte Alter und Rang der Habsburger widerspiegeln.

Wie viele Zimmer die Wiener Hofburg hat, weiß niemand so genau. Auch der ansonsten zuverlässige „Dehio“ schraubt sich um eine Antwort auf diese Frage herum. Dort wird zwar wortreich ausgeführt, dass die Hofburg „den größten Profanbau-Komplex Europas und eine der weltweit bedeutendsten Palastanlagen“ darstelle. Aber eine exakte Zahl findet man auf der 84 Seiten langen Beschreibung nicht.

Das ist freilich nicht das einzige Geheimnis, das die Hofburg umweht. Denn überraschenderweise wurde der Komplex noch nie in seiner Gesamtheit erforscht. Zumindest bis vor wenigen Jahren, als ein Forscherteam der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) unter Leitung von Artur Rosenauer begonnen hat, abertausende Pläne zu sichten, mit dem Endoskop hinter Holzdecken zu schauen oder in ausländischen Archiven nach Berichten über die Kaiser-Residenz zu fahnden.

50 Jahre früher gegründet

Ein lange diskutiertes Rätsel dürfte nun jedenfalls gelöst sein: Der Baubeginn lag zwischen 1220 und 1240, sagt der Mittelalter-Forscher Mario Schwarz. Bei Umbauarbeiten im Kesselhof wurde nämlich eine alte Fassade mit Buckelquadern auf fischgrät-artigen Fundamenten gefunden, die in dieser Kombination „typisch“ für das erste Drittel des 13. Jahrhunderts seien. Das ist rund 50 Jahre früher als man bisher gesichert wusste. „Die Burg war weitgehend da, Ottokar Premysl, den bisher viele für den Gründer gehalten haben, musste nur mehr die Türme darauf bauen“, so Schwarz.

Dass der eine Herrscher auf die Hinterlassenschaften seiner Vorgänger aufbaut, ist ein Phänomen, das sich durch die gesamte Geschichte der Hofburg zieht. Neben mittelalterliche Bauteile wurden Gebäude aus der Renaissance, der Barockzeit und dem Historismus gestellt. So entstand das bunte Sammelsurium an Gebäuden und Stilen, das den besonderen Reiz der Wiener Hofburg ausmacht.

Anders als die alten Residenzen in Paris oder Prag wurde der Baukomplex niemals vereinheitlicht. Es gab zwar seit dem 18. Jahrhundert immer wieder Vorschläge von Architekten. Doch diese wurden nicht realisiert. „Geldnot als Erklärung reicht dafür nicht aus“, sagt der Barock-Experte Hellmut Lorenz. „Wenn man so argumentiert, dann wäre das eine billige Ausrede.“ Die Forscher nehmen vielmehr an, dass es eine bewusste Entscheidung der Herrscher gewesen sei, die alten Teile sichtbar zu belassen. „Eine Dynastie definiert ihren Rang auch über ihr Alter“, so Lorenz. Und das Alter einer Dynastie – die Habsburger waren immerhin Europas zweitältestes Herrschergeschlecht (hinter den Wettinern) – zeigt sich beispielsweise in der Architektur der Residenzen.

Dachstuhl von Türken beschädigt

Dass das ein weit verbreiteter Gedanke war, beweisen auch Berichte aus dem 19. Jahrhundert. „Man schätzte die Residenz wegen ihres Alters“, sagt Werner Telesko, der die Umwälzungen im 19. Jahrhundert studiert – in einer Zeit, in der das Bauvolumen beinahe verdoppelt wurde. Die Hofburg sei durch das Alter ehrwürdig, aber nicht durch Schönheit und Einheitlichkeit ausgezeichnet. Im Feuilleton wurde die Neue Burg als „zu monumental“ kritisiert. Das „Wiener Journal“ beschrieb sie gar als „Monstergebäude, das dem Erdboden gleichgemacht werden sollte“.

Eine Alleinstellung hat die Hofburg im Vergleich zu anderen Herrscher-Residenzen auch, indem sie über keinen altehrwürdigen Thronsaal, lange Zeit keinen Festsaal und bis heute kein repräsentatives Treppenhaus verfügt. „In zeitgenössischen Reiseberichten wird die Wiener Hofburg als ,ein bisschen klösterlich‘ beschrieben“, so Lorenz. Keine zwei Herrscher des Hauses Habsburg-Lothringen residierten jedenfalls in denselben Räumen. Im Inneren des Gebäude-Komplexes wurde folglich laufend umgebaut und modernisiert. Das geht so weit, dass vom originalen Barock- und Rokoko-Interieur praktisch nichts erhalten ist. So weiß man beispielsweise, dass die Räume im Leopoldinischen Trakt freskiert waren. Und man weiß sogar, wer das finanziert hat. „Wir haben endoskopische Untersuchungen hinter den Holzdecken durchgeführt, aber wir haben nichts davon gefunden. Es scheint nichts mehr vorhanden zu sein“, sagt Herbert Karner, Spezialist für das 16. und 17. Jahrhundert. Auch die originale Rokoko-Ausstattung hat nicht überlebt. Was heute so aussieht, als wäre es annähernd 200 Jahre alt, ist nämlich deutlich jünger: Im 19. Jahrhundert, so berichtet Telesko, habe man die Räume in einem Rokoko-Stil ausgestattet – „täuschend ähnlich, aber mit anderen Materialien und billiger.“ Die Stuckaturen etwa sind aus Pappmaché fabriziert.

An alten Stilen wurde immer wieder Anleihe genommen. So wurde etwa das Michaelertor – die Öffnung der Hofburg in die Stadt – im barocken Stil weitergebaut. Der linke Teil dieser Fassade wurde vor 180 Jahren gebaut, die Fassade wurde aber erst zum Ende des 19. Jahrhunderts vollendet – nach den alten Plänen Fischer von Erlachs. Telesko: „Neobarock auf barocker Planung.“ Manche Dinge wurden auch so erneuert, dass man optisch keinen Unterschied erkennt. So dachte man bisher, dass der Dachstuhl um den Schweizerhof aus der Renaissance stammt. Stimmt nicht, hat man durch dendrochronologische Analysen (Vermessung der Jahresringbreiten des Holzes) herausgefunden. „Alle vier Flügel stammen aus den Jahren 1687/88“, berichtet Karner. Offenbar war die Hofburg nach der Zweiten Türkenbelagerung so schwer beschädigt, dass man den Dachstuhl komplett erneuert habe.

Überall, wo man in der Hofburg genauer hinschaut, taucht also Geschichte auf. „Man kann anhand dieses Ortes die Geschichte Österreichs, ja sogar Europas schreiben“, sagt Maria Welzig. Sie befasst sich mit dem Schicksal der Hofburg nach 1918. Ihrer Meinung nach spiegelt sich der Wechsel des politischen Systems klar in dem Baukomplex wider. Schon 1919, unmittelbar nach dem Ende der Monarchie, habe es die Idee gegeben, aus den Hofstallungen ein Museum moderner Kunst zu machen, berichtet sie. „So lange hat's gedauert“, kann sich Welzig angesichts der lange Debatte um das Museumsquartier nicht verkneifen.

„Durch die gesamte Zeit der Republik zieht sich durch: Die Hofburg wird zum Symbol des Österreichischen.“ Seit den 1950er Jahren sei das kulturelle Bild wesentlich für das Selbstbild der Österreicher. So wurde auch der Hofburg-Brand im Jahr 1992 als „nationale Katastrophe“ aufgefasst. Diese Verkörperung Österreichs in der Hofburg gilt mit einer Einschränkung: Der Hitler-Auftritt am Heldenplatz brachte eine „Tabuisierung, die bis heute anhält“. Die Rede nach dem „Anschluss“ 1938 ist laut Welzig auch der Grund dafür, dass der Staatsvertrag 1955 vom Balkon des Belvederes präsentiert wurde.

Ach ja. Und wie viele Räume hat die Hofburg nun? Auch das nunmehrige Forschungsprojekt der ÖAW wird wohl keine definitive Antwort geben – denn nach dieser simplen Frage des Autors wurde bisher nicht gefragt. Karner wagt sich aber dennoch an eine Schätzung: „Eine Zahl von 3000 ist eine konservative Schätzung.“

AUF EINEN BLICK

Die Hofburg wird seit dem Jahr 2005 von einem Team der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) mit Unterstützung des Wissenschaftsfonds FWF eingehend erforscht. Gefunden wurden beispielsweise 8000 Pläne – die Beschreibungen dazu mussten erst aus Archiven mühsam zusammengetragen werden. Einige Teilprojekte wurden nun verlängert, das Ziel
sind umfassende Publikationen.

Neue Erkenntnisse werden am Dienstag bei einem Residenz-Forschungs-Symposium in der ÖAW präsentiert. Einige normalerweise unzugängliche Teile der Hofburg können kommenden Sonntag beim „Open House“ des Konferenzzentrums besichtigt werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.09.2008)

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