Slowenien: „Plötzlich gab es mich nicht mehr“

(c) Die Presse (Thomas Roser)
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18.300 Menschen wurden 1992 aus allen Registern gelöscht, weil ihr Geburtsort in einer anderen Teilrepublik Ex-Jugoslawiens lag. Bis heute warten sie auf Entschädigung.

BreZice. Es nieselt, als sich Niko Jurkas neben das Ortsschild seiner Heimatstadt stellt. Einer Stadt, die ihn jahrelang verleugnete. Im 30 Kilometer entfernten Zagreb sei er als Sohn einer Kroatin und eines slowenischen Landwirts 1948 geboren worden, erzählt der ergraute Geschäftsmann: „Da war keine Grenze, das war Jugoslawien.“

Wenige Monate nach der Geburt übersiedelten Mutter und Sohn auf den Hof des Vaters im nahen Slowenien. In Brezice sei er in die Schule gegangen, habe geheiratet, ein Haus gebaut – und einen Betrieb gegründet, lässt Jurkas sein Leben Revue passieren: „Brezice ist keine große Stadt. Ich kannte jeden hier. Doch plötzlich kannte mich niemand mehr.“

„Gelöschte“ werden in Slowenien jene genannt, die 1992 aus allen Registern getilgt wurden. Nach der Loslösung von Jugoslawien hatte Slowenien Menschen, die in einer anderen Teilrepublik geboren waren, im Sommer 1991 eine Frist gesetzt: Bis Jahresende sollten sie sich als Ausländer registrieren lassen oder die slowenische Staatsbürgerschaft beantragen.

Nur Finanzamt wollte weiter Geld

Mehr als 170.000 Menschen erhielten die Staatsbürgerschaft. 18.305, die sich nicht gemeldet hatten oder deren Antrag abgelehnt wurde, verschwanden hingegen am 26. Februar 1992 aus allen Registern. Informiert wurden sie weder über die Maßnahme noch über deren Auswirkungen. Und die sollten verheerend sein.

Vor einer Geschäftsreise nach Russland beantragte Jurkas, der sich Zeit seines Lebens als Slowene gefühlt hatte, 1992 einen neuen Pass, da sein jugoslawischer ablief. Mit Verweis auf seinen Geburtsort Zagreb wurde er aufgefordert, die slowenische Staatsbürgerschaft zu beantragen. Der Antrag wurde abgelehnt: „Ich war für die plötzlich nicht nur Ausländer, sondern es gab mich einfach nicht mehr. Ich war nirgendwo mehr registriert – weder beim Meldeamt noch bei der Pensions- oder Krankenkasse.“ Nur beim Finanzamt wurde er als steuerpflichtig geführt: „Und die Telefon- und Stromrechnungen kamen natürlich weiterhin.“

Erst 2004 reagierte der Staat

Für Jurkas und tausende Schicksalsgenossen begann ein jahrelanger Albtraum, der für viele noch immer nicht beendet ist. Manche wurden ausgewiesen und jahrelang von ihren Familien getrennt. Wer blieb, verlor als illegaler Staatenloser Arbeits- und Aufenthaltsrecht, Pensions- und Sozialversicherungsansprüche. Sein in Erlangen geborener Sohn habe problemlos Papiere erhalten, erzählt Jurkas: „Kein einziger Ausländer, der außerhalb von Ex-Jugoslawiens geboren wurde, bekam Probleme. Nur wir – es war schlicht Rache.“

Bei Straßenkontrollen machte Jurkas fortan nicht nur sein für ungültig erklärter Führerschein zu schaffen: „Die Polizisten fragten mich: ,Wo sind Sie gemeldet?‘ Ich sagte: ,In meinem Haus.‘ Antwort: ,Aber dort gibt es Sie nicht.‘“ 28 Mitarbeiter beschäftigte der damalige Chef einer Kugellagerfabrik – und musste sich selbst kündigen: „Ich galt als Schwarzarbeiter und hätte Probleme mit der Arbeitsinspektion bekommen.“

Aus der Krankenkasse gestrichen, musste er eine komplizierte Knöcheloperation 2001 selbst bezahlen. Er habe Glück gehabt, dass er keine schwere Krankheit gehabt habe: „Einige Gelöschte sind gestorben, weil sie sich keine Behandlung leisten konnten.“

In zwei Urteilen 1999 und 2003 entschied Sloweniens Verfassungsgericht, dass die „Löschung“ dem Gleichheitsgrundsatz widerspreche, auch von der UNO kamen Rügen. 2004 begann das Innenministerium auf internationalen Druck, den „Gelöschten“ ein Aufenthaltsrecht zuzuerkennen, stellte dies später aber wieder ein.

Zwei Drittel der Betroffenen haben mittlerweile Aufenthaltserlaubnis oder Staatsbürgerschaft. Auch Jurkos, der sich im Verband der Gelöschten engagiert, erhielt 2004 mit fast zwölfjähriger Verspätung die Bestätigung, dass er slowenischer Staatsbürger sei. Die elf Jahre Ausfall in der Pensionskasse bekam der 60-Jährige nicht vergütet: „Keiner von uns bekam eine Entschädigung. Und Tausende haben noch immer keine Papiere.“

„Wurden zu Verrätern erklärt“

Auf einer nationalistischen Welle reitend und auf dem Rücken der Gelöschten habe Premier Janez Jansa die Wahlen 2004 gewonnen, klagt Jurkos: „Wir wurden zu Landesverrätern erklärt.“ Im diesjährigen Wahlkampf sei das Schicksal der Gelöschten zwar ein Tabuthema, doch noch immer seien die Betroffenen Anfeindungen und Pöbeleien selbst von Nachbarn ausgesetzt.

Mit Empfehlungen halte sich der Gelöschten-Verband vor der Parlamentswahl am Sonntag bewusst zurück: „Jeder Politiker, der sich für uns einsetzt, würde seine Wahlchancen beeinträchtigen.“

AUF EINEN BLICK: Sloweniens „Gelöschte“

Beim Zerfall Jugoslawiens 1991 lebten zehntausende Menschen in Slowenien, deren Geburtsort in einer anderen Teilrepublik Ex-Jugoslawiens lag. Per Ultimatum mussten sie die slowenische Staatsbürgerschaft beantragen oder sich als Ausländer registrieren lassen.

Wer dies nicht tat– oder wessen Antrag abgelehnt wurde – flog aus allen Registern und damit auch aus der Pensions- und Krankenversicherung. 18.300 Menschen waren davon betroffen. Zwei Drittel haben mittlerweile Papiere, Entschädigung gab es bisher keine.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.09.2008)

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