Siliziumnitrid: Der „Stahl“ unter den Keramiken

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Hochleistungs-keramik übernimmt dort das Ruder, wo Metalle überfordert sind.

Wer mit dem Wort „Keramik“ nur Blumentöpfe, Geschirr oder Gartenzwerge verbindet, der ist auf dem Holzweg. Keramik ist zwar einer der ältesten Werkstoffe der Menschheit, die Geschichte der Keramik ist aber gleichzeitig auch ein Wettlauf um die besten Technologien. Nur ein Beispiel: Chinesisches Porzellan hatte lange Zeit eine weltweite Monopolstellung – bis Johannes Böttger in Dresden das Geheimnis entschlüsselte. Auch in Österreich war man lange auf der Suche nach dem weißen Gold, aber erst ein geflohener Mitarbeiter von Böttger brachte das Know-how nach Wien – was den Weltruf der Porzellanmanufaktur Augarten begründete.

Verzahnt wie Mikadostäbchen

Heute ist das anders: Keramisches Know-how muss nicht mehr illegal ins Land geschmuggelt werden. Denn im Institut für Struktur- und Funktionskeramik (ISFK) an der Montanuniversität in Leoben wird an der Weltspitze mitgeforscht. Keramik ist ein Überbegriff für Werkstoffe, die aus anorganischen Bestandteilen wie Metalloxiden (etwa Quarz und Kaolin) oder anderen Metall-Verbindungen (etwa Siliziumkarbid oder -nitrid) bestehen. Aus einem Pulver werden zunächst sogenannte „Grünlinge“ geformt. Nach dem Trocknen werden diese bei hohen Temperaturen gebrannt („gesintert“). Dabei bekommt die Keramik ihre besonderen Eigenschaften.

Im Fokus der Leobener Forschung stehen neue keramische Werkstoffe aus synthetischen Rohstoffen, die ungeahnte Eigenschaften haben: Sie sind leicht, aber gleichzeitig extrem belastungsfähig; sie sind wärme- und chemikalienbeständig – und manche Materialien haben interessante elektrische Eigenschaften (siehe unten stehenden Artikel). Hochleistungskeramik kann damit dort Funktionen erfüllen, wo Metalle an die Grenze ihrer Möglichkeiten stoßen.

Ein Star unter den modernen Keramiken ist Siliziumnitrid – die Forscher um Tanja Lube und Peter Supancic nennen dieses Material auch den „Stahl unter den Hochleistungskeramiken“. Mit gutem Grund: Bauteile aus Siliziumnitrid sind fast so leicht wie Aluminium, also um die Hälfte leichter als Stahl; sie sind aber gleichzeitig fast so hart und verschleißfest wie Diamant. Sie behalten ihre hohe Festigkeit auch bei hohen Temperaturen, widerstehen gut chemischen Belastungen und raschen Temperaturwechseln. Diese Eigenschaften verdankt das Material seiner Mikrostruktur: In eine glasig erstarrte Matrix sind stängelförmige Kristallite eingebettet, die sich wie Mikadostäbchen verzahnen. Das bringt eine gute Zähigkeit. Die exakten Eigenschaften lassen sich durch Änderungen im Herstellungsprozess beeinflussen: Ein Aufbau aus feinen, rundlichen Kristalliten etwa erhöht die Festigkeit auf Kosten der Zähigkeit.

Allerdings bringt Siliziumnitrid auch einige Probleme. Denn trotz der für Keramiken hohen Zähigkeit ist Siliziumnitrid spröde. Genauer gesagt: Der Bruch erfolgt plötzlich und ohne dass sich ein Bauteil vorher verformt. Für das Design sind daher besondere Methoden nötig. So muss beachtet werden, dass Zugbelastungen wesentlich gefährlicher sind als Druckbelastungen.

Auch der Herstellungsprozess ist aufwendig. Die aus Silziumnitridpulver gepressten Körper müssen in sauerstofffreier Atmosphäre gesintert werden. Auch die Nachbearbeitung eines Bauteils nach dem Brennen ist nicht einfach, aufgrund der hohen Härte kann diese nur mehr mit Diamantwerkzeugen durchgeführt werden. Die Folge: Das Material ist relativ teuer, was einen verbreiteten Einsatz oft verwehrt. Allerdings betonen die Forscher, dass durch die Entwicklungen der letzten Jahre viele Hürden überwunden werden konnten.

Im Walzwerk von Böhler Edelstahl in Kapfenberg werden keramische Walzen für die Verformung von hochlegierten Stählen getestet – die Leobener Forscher überwachen die Versuche durch die Messung mechanischer Kennwerte, sie simulieren die Spannungen beim Drahtwalzen im Computer. Das Ergebnis: Es können hochwertige Drähte mit ausgezeichneter Oberflächenqualität und sehr guter Maßhaltigkeit hergestellt werden. Die Walzen haben eine mehrfach höhere Lebensdauer – bei herkömmlichen Walzen kommt es bei den herrschenden Temperaturen von bis zu 1300 Grad oft zu Beschädigungen. Auch sind die Walzen wegen ihres geringeren Gewichtes (sechs Kilogramm anstatt 25 bis 30 Kilo bei Hartmetallwalzen) leichter handhabbar.

Keramische Kugellager

Bei SKF in Steyr leistet Siliziumnitrid bereits wertvolle Dienste: Dieses Unternehmen stellt unter anderem Kugellager mit Keramikkugeln für Windkraftwerke her und zählt in diesem Segment zu den weltweit führenden Lieferanten. Ohne Keramiktechnologie würde sich kein modernes Windrad bewegen können: Denn neben der hohen Festigkeit der Lager wird auch eine elektrische Isolation benötigt – was kein Metall zu leisten vermag. Die bis zu einige Zentimeter großen Siliziumnitridkugeln können mittlerweile auf den Bruchteil eines Mikrometers genau hergestellt werden. Die Keramik-experten aus Leoben haben ein Verfahren entwickelt, mit dem die Festigkeit der Kugeln getestet werden kann, ohne dass Proben entnommen werden müssten.

Keramikforschung

Das ISFK (Institut für Struktur- und Funktionskeramik) der Montanuni Leoben ist das einzige österreichische Forschungszentrum für Hochleistungskeramik.

Schwerpunkte sind Materialprüfung, Simulation und „keramikgerechtes“ Konstruieren. Über das K2-Zentrum MPPE ist das ISFK auch in das COMET-Programm eingebunden, Wirtschaftspartner sind unter anderem Böhler Edelstahl und Epcos.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.10.2008)

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