Erfrischendes Stück vom Liebesglück

Schwebende Komik: Bei Iris Hanika „Treffen sich zwei“.

Alles nur die Hormone: Sie blasen zwei ganz normale Menschen zu Heiligengestalten auf. Sie lassen Erwachsene wie Pubertäre übereinander herfallen und herumzicken. Sie rühren hysterische Galerieassistentinnen zu Sturzbächen an Tränen und mischen den Psychohaushalt von vernunftbegabten Systemberatern auf. Im buchstäblichen Fall trifft das Schicksal der Liebe Senta und Thomas mit voller Wucht. Abgeklärt sind die zwei sympathischen Protagonisten, die sich in Iris Hanikas Roman treffen, verlieben, streiten und wieder versöhnen. Sie sind über vierzig, und sie leben seit ewig in Berlin Kreuzberg. Eigentlich müssten die zwei mit noch gröberen Hormonschüben klar kommen als bei ihrer unverhofften Begegnung im Szenecáfe.

„Treffen sich zwei“, der Buchtitel, lanciert vielleicht einen Witz, aber eine Pointe kommt ganz absichtlich nicht. Der Autorin ist es – bei all ihrer feinen Ironie – ernst mit dem Thema. Es geht schließlich genau darum: Was passiert, wenn es zwei Menschen wie vorbestimmt zueinander treibt, und wie erzählt man solches ohne Peinlichkeiten, ohne Wiederholungstäterschaft, ohne gestelzte reflexive Brechungen. Und: Wie kann man heute überhaupt die Liebe noch neu vertexten, ohne auf alte Bilder und Klischees zurückgreifen zu müssen? Iris Hanika kann ganz offensichtlich, denn sie liefert hier ein sehr erfrischendes „Stück vom Liebesglück“ ganz im Bewusstsein ab, dass es eben die „Version 175.614.528.734“ über das leidige Thema ist. Eine Premium-Version allerdings, deren Überzeugungskraft darin liegt, dass sie Miniatur bleibt, eine einfache, kurze Geschichte, die mit Musiktiteln und Exkursen in Sachen Liebe und Anatomie durchsetzt ist. Das wiederum weist die Autorin als versierte Grenzgängerin zwischen vielen Stilen aus.

Hanika beobachtet sehr genau, wie den Betroffenen geschieht. Am Anfang der Liebe geht es den zweien, logisch, um Sex. Wozu lange herumreden: „Wenn es nicht am Ende ihr Fleisch und Blut zusammenführte, dann wäre er ja ins Nichts gegangen, dieser Austausch von Gesprächspartikeln.“ Dass solche Sätze nicht alleine stehen, sondern einen aus dem an anderen gebären, katapultierte die Autorin vermutlich auf die Shortlist des deutschen Buchpreises. Das ist nicht der großstadt- oder poproman-übliche Tonfall, in dem geschmeidige „Ein-Mann-und-eine-Frau-Geschichten“ abgeliefert werden, weder rotzig, noch humoristisch, noch geschwollen diskursiv. Komisch ja, aber auf eine so clevere und hinterrücks einnehmende Art, dass sich der Leser ein bisschen ertappt vorkommt: War er – vermutlich – doch selber einmal so blöd (verliebt) wie diese Senta oder dieser Thomas in „Treffen sich zwei“?

Diese leichte, schwebende Komik entsteht bei Hanika dadurch, dass sie die Perspektiven leicht dreht, sie geht auf Distanz zu ihren Figuren, macht sie zum Objekt ihrer Begierden, betreibt aber zugleich unbestechliche Introspektion. Dazu muss die Autorin in die Körper von Senta und Thomas hineinkriechen und zwei sehr unterschiedliche Gehirnstromprotokolle lesen: entlarvend, wie unterschiedlich das System Mann und das System Frau in Liebensdingen offensichtlich funktioniert.

Besonders interessant wird es in den hormongesteuerten Passagen, wenn der Kopf der beiden Protagonisten dazwischen funkt. Dann kommt Alltagswelt ins Bild, der Ballast, den Menschen um die vierzig so mit sich herumschleppen: abgearbeitete Beziehungen, musikalische Sozialisation, kulturelle Prägungen. Ein Wunder, dass da Liebe eine Chance hat. Hanikas Buch gibt jedenfalls Anlass zur Hoffnung. Wie schön. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.10.2008)

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