„Kinder müssen keine kleinen Kalligrafen sein“

Wie wichtig ist das Schönschreiben in der Volksschule? Im Prinzip ist Lesbarkeit wichtiger. Doch letztlich entscheiden die Lehrer.

Volksschulkinder von heute müssen keine kleinen Kalligrafen mehr sein. In Sachen Schönschreiben lassen die Vorgaben des Lehrplans die Zügel ziemlich locker. „Der Wert des Schönschreibens hat seinen Stellenwert verloren“, betont Wolfgang Gröpel, Leiter der Abteilung Pflichtschulen im Wiener Stadtschulrat. „Wichtig ist: Das Geschriebene muss lesbar sein.“

1995 – unter SPÖ-Bildungsminister Rudolf Scholten – wurde die österreichische Schulschrift reformiert und an die Druckschrift angenähert. Bis dahin galten die „Wiener Richtformen“ aus dem Jahr 1924, die sich durch zahlreiche Schlingen und oftmaligen Schreibwechsel auszeichnete.

Die Schulschrift gilt jetzt als Richtform für den Unterricht in der ersten und zweiten Klasse Volksschule. „In den folgenden Schuljahren sollen sich die Schüler ihre persönliche, gut lesbare und flüssige Handschrift aneignen. Für den gesamten Bereich Schulschrift gilt das Prinzip weitgehender Offenheit. Es bestehen Freiräume bei der Wahl der Buchstaben- und Ziffernformen, der Schriftgröße, der Lineatur und der Schriftneigung“, heißt es dazu aus dem Ministerium.

Das alleinige Benoten der Schrift wurde bereits 1979 abgeschafft. Seit damals wurde das Schreiben zunächst in den ersten beiden Volksschulklassen in den Gegenstand Deutsch integriert, in der dritten und vierten Klasse in den Gegenstand „Bildnerische Erziehung“. Seit 2003 sind Deutsch und Schreiben in der gesamten Volksschule ein Fach.

Doch manche Dinge brauchen Zeit, um zu sickern. So betont zwar auch der Leiter der Abteilung Pflichtschulen am Landesschulrat für Oberösterreich, Rudolf Mattle, „das Ziel ist die Lesbarkeit“. Aber: Inwieweit auch das Schönschreiben in die Beurteilung einfließe, „hängt vom Lehrer ab“. Er persönlich lege übrigens „Wert auf ein schönes Schriftbild. Die Schrift gibt einen Eindruck von einem Menschen. Außerdem habe ich die Erfahrung gemacht: Je schöner man schreibt, desto weniger Fehler begeht man.“

Regina Weinstabl, Erziehungsberaterin am Gymnasium Draschestraße in Wien, rät denn Eltern auch, auszuloten, ob die Lehrerin Wert auf das Schönschreiben lege oder nicht. Das gelte übrigens nicht nur für die Volksschulzeit, sondern auch für Kinder in der Pubertät. In diesem Alter werde experimentiert, mit Schnörkseln und Schriftneigung ebenso wie mit übergroßen i-Punkten oder Herzchen als i-Punkt-Ersatz. Nun komme es auf die Lehrerpersönlichkeit an, wie damit umgegangen werde. Werde dies als altergemäß toleriert, bedürfe es von Elternseite kein Eingreifen. Mache ein Lehrer Schwierigkeiten, rät Weinstabl zum Gespräch mit dem Kind und dabei zur Suche nach einer Lösung.

Erstes Schreibgerät ist übrigens seit eh und je der Bleistift. Spätestens in der zweiten Klasse hält die Füllfeder Einzug. Kugelschreiber haben in der Grundschule nach wie vor nichts verloren. „Kinder brauchen eine gute Schreibhaltung. Und diese ist leichter mit einer Füllfeder zu erzielen“, so Gröpel. Ob man die Füllfeder links oder rechts hält, ist heute bedeutungslos. „Selbstverständlich wird nicht mehr umerzogen.“ Auch Mattle betont, dass heute alle Pädagogen wüssten, wie mit Linkshändigkeit umzugehen sei.

In der Volksschule nicht vermittelt wird das Schreiben auf einer Tastatur – obwohl Computer schon längst auch in Volksschulen Einzug gehalten haben. In Wien gibt es pro Klasse zwei Rechner. „Da muss man vielleicht nachdenken“, sagt Gröpel. „Es wäre schon sinnvoll, Kinder auch das Maschinschreiben zu lehren.“ wea

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.11.2008)

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