Musikverein: Die absurden Todesarten der Künstler

Daniel Harding
Daniel Harding(c) EPA (Sigi Tischler)
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Das Scala-Orchester unter Daniele Gatti, die Wiener Philharmoniker unter Daniel Harding: ein wechselvolles Konzertwochenende.

Charles Alkan hätte noch gefehlt: Immerhin wurde dieser französische Komponist 1888 angeblich von seinen Büchern (unter maßgeblicher Teilnahme des Talmud) erschlagen. – Doch nicht dergleichen obskure, sondern verbürgte Schicksale von „Opfern des Absurden“ versammelte Alan Levy 1983 in seinem für den Komponisten René Staar geschriebenen Text, der vom Tod Anton Weberns 1945 in Mittersill durch die Schüsse eines amerikanischen Besatzungssoldaten ausgeht, die dieser später übrigens schwer bereut hat.

Modernes im „Philharmonischen“

Staars Melodram „Just an Accident? A Requiem for Anton Webern and Other Victims of the Absurd“ wurde nun, man höre und staune, im dritten „Philharmonischen“ der Saison aufgeführt – und ist übrigens keineswegs das jüngste Werk in diesem edlen Kreise: Heuer stehen neben klassischer Moderne auch Werke von György Ligeti sowie des in Kürze hundertjährigen Elliott Carter auf dem Programm, natürlich behutsam verpackt zwischen Klassik und Romantik.

Staar, Jahrgang 1951, nicht nur Komponist, Lehrer und Leiter des verdienstvollen Ensembles „Wiener Collage“, sondern auch philharmonischer Geiger, verknüpft in seinem Werk durchgehende Webern-Anklänge mit spezifischem Kolorit, das jeweils auf die von einem Sprecher (markant: Dale Duesing) abgehandelten, vermeidbaren Todesfälle von Enrique Granados (Kriegsopfer) bis zum tschechischen Kabarettisten Ji?í ?litr (Gasunfall) verweist; Lully, Ödön von Horvath, Isadora Duncan, John Lennon und etliche andere werden erwähnt.

Jugendprojekt „passwort:klassik“

Daraus erwächst ein insgesamt wohl zu umfangreicher Text, der die Musik, den reflektierenden Einschüben des Soprans (Marisol Montalvo) zum Trotz, unverdientermaßen etwas in den Hintergrund der Aufmerksamkeit rückt.

Dennoch durften sich Komponist und Interpreten über einen großen Erfolg freuen, zumal das Werk im Rahmen des Jugendprojektes „passwort:klassik“ in begleitenden Schulworkshops mit krönendem Konzertbesuch erarbeitet wurde. Daniel Harding, mit 33 immer noch Nesthäkchen unter den philharmonischen Dirigenten, ist da gewiss eine ideale Identifikationsfigur, genoss in Sibelius' Siebenter Symphonie den herrlich breiten Wiener Klang und leitete nach der Pause eine rasant-energiegeladene Zweite von Schumann.

Gatti, Giulini und das Getöse

Ähnlich flott und sogar noch wesentlich kraftstrotzender ging es am Abend zuvor zu, als Daniele Gatti mit dem Orchestra Filarmonica della Scala im Goldenen Saal gastierte, wenige Wochen, bevor dieses Gespann mit „Don Carlos“ die neue Scala-Stagione eröffnet. Allerdings blieb nach einer umfangreichen Nummernfolge aus Prokofjews „Romeo und Julia“ Tschaikowskys Fünfte leider nur eine brillante Äußerlichkeit und einzig offenbar höchst willkommener Anlass, die Virtuosenmuskeln des Klangkörpers spielen zu lassen.

Freilich ist es ein bekannt problematisches Werk, dessen aufgedonnertes Finalgetöse nur höchst selten als Ergebnis innerer Logik wirkt: Nicht von ungefähr brach einst Carlo Maria Giulini, von Walter Legge unbarmherzig ins Studio gedrängt, seine Aufnahme schon nach einer Viertelstunde ab. „Ich kann nicht mehr“, seufzte Giulini damals tieftraurig. Gatti kennt diese Skrupel nicht – und ist zufrieden, wenn er den plakativen Jahrmarktstrubel effektvoll organisieren kann. Für großen Jubel und eine Zugabe (aus „Manon Lescaut“) reichte das völlig aus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.11.2008)

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