Schulstart mit Fünf: Im Kindergarten unterfordert?

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An der Volksschule Pfeilgasse nimmt man sich besonders begabter Kinder an. Drei bis vier Kinder starten jährlich ihre Schulkarriere ein Jahr früher. Sie werden auch durch speziellen Unterricht gefördert.

Wien.Eltern, die das Gefühl haben, ihre Tochter oder ihr Sohn langweilt sich im Kindergarten, da er oder sie besonders begabt ist, sind bei Andrea Rieß an der richtigen Adresse: Sie leitet die Wiener Volksschule Pfeilgasse, die als eine von acht Schulen das Begabungssiegel des Wiener Stadtschulrats verliehen bekommen hat. Hier wird auf die Bedürfnisse begabter Kinder besonders Rücksicht genommen: mit Begabtenförderung etwa in Form von Atelierunterricht, der Möglichkeit, eine Klasse zu überspringen, oder aber auch einer Einschulung schon mit fünf Jahren.

Grundsätzlich darf jedes Kind, das während der ersten Klasse spätestens Ende März sechs Jahre alt wird, und bereits schulreif ist, mit der Schule beginnen, sagt dazu Wolfgang Gröpel, im Stadtschulrat für den Bereich Pflichtschulen verantwortlich. Eine Rolle spielen dabei allerdings nicht nur die kognitiven Fähigkeiten wie bereits erworbene Lese- oder Rechenkenntnisse, sondern auch die soziale und körperliche Reife eines Kindes. Daher wird bei einer von den Eltern gewünschten früheren Einschulung von einem Schulpsychologen getestet, ob das Kind wirklich schon so weit sei.

Rieß betont, dass sie an ihrer Schule auf eine gute Vorbereitung einer früheren Einschulung besonderen Wert lege. Eineinhalb Jahre vor der Einschulung erfolgt heute der erste Kontakt: Zu diesem Zeitpunkt melden sich Eltern an der Wunschschule an. Der eigentliche Schulreifetest findet ein halbes Jahr vor dem tatsächlichen Schulbeginn statt. Eltern von begabten Kindern sollten daher rund um den vierten Geburtstag an der Schule vorsprechen.

Vom Kind oder von den Eltern?

Sie versuche sich dann ein Bild davon zu machen, warum die Eltern das Kind für begabt halten, was vom Kind selber komme, was mit Mutter oder Vater trainiert worden sei. „Manchmal kommt man schon in diesem Gespräch drauf, dass es sich nur um einen Wunsch der Eltern handelt“, sagt Rieß, „manchmal gibt es aber auch sehr klare Hinweise.“ Gerne frage sie daher auch im Kindergarten nach, wie die Kindergärtnerin die Entwicklung des Kindes einschätze – das vorherige Einverständnis der Eltern vorausgesetzt.

In einem zweiten Schritt unterhält sich die Direktorin mit dem Kind selbst. Dabei macht sie sich nicht nur ein Bild von den sprachlichen Fähigkeiten, sondern setzt unter anderem auch Montessori-Materialien ein, um spielerisch abzutesten, wie weit das Kind beispielsweise im Bereich Mathematik sei. Seit 30 Jahren arbeite sie mit Kindern, „da kriegt man schon einen Blick dafür“. Manche Eltern würden sich dabei einmischen, um ihr Kind anzuspornen, andere säßen ganz gelassen daneben und ließen ihr Kind erzählen.

Steht aus ihrer Sicht fest, dass das Kind sich für eine frühere Einschulung eigne, stehe noch die schulpsychologische Begutachtung an. Hochbegabte Kinder hätten meistens einen Intelligenzquotienten von 130 oder mehr, doch auch dieser Wert sei mit Vorsicht zu genießen. Denn trotz dieses IQ könne es zum Beispiel noch eine motorische Unsicherheit geben. Gibt es schließlich auch das psychologische Okay, lässt Rieß das Mädchen oder den Buben einmal zunächst für wenige Stunde, später für ganze Schultage als Gastkind am Unterricht teilnehmen. „Da sieht man dann: Wie reagiert das Kind?“

Könne sich das Kind mühelos konzentrieren und mache ihm der Unterricht Spaß, hänge die frühere Aufnahme nur noch davon ab, ob es einen Platz für das Kind gibt. Braucht nämlich ein bereits sechsjähriges Kind den Platz, muss Rieß dieses vorziehen. Meistens schafft es Rieß aber, auch diese Hürde zu überwinden – und dann öffnen sich die Schultüren für das betreffende Kind schon ein Jahr früher. Im Schnitt beginnen an ihrer Volksschule drei bis vier Kinder im Jahr im Alter von fünf Jahren.

Ideal für eine frühere Einschulung sind übrigens Mehrstufenklassen, von denen es an ihrer Schule derzeit zwei gebe, so die Direktorin. In so einer Klasse sei es übrigens sogar leichter möglich, eine Schulstufe zu überspringen. Auch das komme an der Volksschule Pfeilgasse immer wieder vor. Auf die Mehrstufenklassen gebe es von Elternseite übrigens einen regelrechten Run. „Diese Klassen sind sehr beliebt. Da kann ich gar nicht alle Wünsche erfüllen.“

Einstieg das ganze Jahr?

Etwas traurig stimmt Rieß, dass von der Möglichkeit, das Kind früher einzuschulen, natürlich nur Eltern Gebrauch machen, die engagiert sind. Denn: hier ist die Eigeninitiative der Eltern gefragt. Begabte Kinder mit einer anderen Muttersprache als Deutsch oder aus einem nicht so engagierten Elternhaus hätten diese Chance nicht.

Wünschen würde sich Rieß zudem, dass begabte Kinder auch während des Schuljahres einsteigen könnten, und nicht nur jeweils mit Schulbeginn im Herbst eingeschult werden können. Das bedeute zwar einen organisatorischen Mehraufwand, der aber sicher zu bewerkstelligen wäre.

Und wie merken Eltern, dass ihre Tochter oder ihr Sohn früher eingeschult werden könnte oder sollte? „Diese Kinder haben einen großen Wissensdurst, sie fragen ständig und fragen dann auch nochmals nach.“ Weitere Zeichen seien: starkes Interesse an Natur und Umwelt oder für Zahlen sowie eine sprachliche Entwicklung, die Gleichaltrigen weit voraus sei. Manche hochbegabte Kinder würden wenig Schlaf brauchen, so Rieß. Grundsätzlich gilt: „Wenn ein Kind weit voraus ist, muss ich mir ansehen, ist das wirklich eine Hochbegabung oder nur ein kurzer Entwicklungsvorsprung.“

LITERATUR.

www.pfeilgasse.atHochbegabung: Tipps für den Umgang mit fast normalen Kindern. Christiane Alvarez (2007). Hoch begabt – und trotzdem glücklich. Was Eltern, Kindergarten und Schule tun können, damit die klügsten Kinder nicht die Dummen sind. H. Horsch, G. Müller und H. Spicher (2006).

Hochbegabte Kinder und Jugendliche. Diagnostik – Förderung – Beratung. Rohrmann S. und Rohrmann T. (2005).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.01.2009)

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