Das postchristliche Österreich

Das Christentum prägt unser Land nach wie vor.

Mutiges und zielgerichtetes Vorgehen der Bischofskonferenz hat einen neuerlichen langen Streit innerhalb und um die katholische Kirche im Keim erstickt. Die rätselhaften Vorgänge rund um die Ernennung eines Weihbischofs haben Aufsehen erregt; sie kamen zugleich mit den unverständlichen Entscheidungen zu vier Sekten-Bischöfen.

In beiden Fällen hat die Zentrale in Rom die Wirbel verursacht. Der gute Ruf der päpstlichen Regierungskunst gerät zunehmend in Zweifel. Stichworte zu ähnlichen „Fällen“? Karfreitagsbitte, Mohammed-Zitat, Protestanten sind keine Kirche, Segen der Missionierung usw. Kein Monat ohne Missverständnisse, Aufregungen, Richtigstellungen, auslegende Erklärungen. Bei allem geht es immer um die Art der Mitteilung, der Kommunikation. Man kann daher nur unterstreichen, was die österreichischen Bischöfe nun in ihrem Hirtenbrief erklären: „Wir hoffen, dass es gelingen wird, die unzureichenden Kommunikationsabläufe auch im Vatikan zu verbessern.“

In Österreich haben alle diese Vorfälle hohe Wellen geschlagen. Die ganze öffentliche Meinung beschäftigt sich seit Monaten damit. Michael Prüller beschrieb in einem „Presse“-Leitartikel Österreich schon als postchristliche Gesellschaft. Wenn er damit eine postkirchliche Gesellschaft meint, in der es die umfassend garantierte Religions-, Glaubens- und Gewissensfreiheit gibt, so hat er Recht. Wenn er aber damit meint, die Religionen, v. a. das Christentum, spielten keine prägende Rolle mehr, muss ich ihm widersprechen. Alle drei abrahamitischen Offenbarungsreligionen (Judentum, Christentum, Islam) prägen mit ihren Grundwerten nach wie vor, zu unser aller Wohl, unser Land und weite Teile Europas.

Seit das Christentum zur Staatsreligion im römischen Reich wurde, hat es entscheidende Beiträge zur gerechten Gestaltung der Gesellschaft geliefert – ich erwähne nur das Gebot der Nächstenliebe (Solidarität), die Abschaffung der Sklaverei, die Grundlegung der Gesellschaft in Ehe und Familie, die ganz Europa erfassende Bildungstätigkeit der Klöster, der Schutz des Lebens.

Wenn manche meinen, es gäbe überhaupt keine Grundwerte ohne Gott, so gehen sie zu weit. Natürlich können allgemein gültige Grundwerte auch aus der Vernunft abgeleitet werden. Vernunft und Glauben stehen gleichberechtigt nebeneinander. Aber auch heute ist der wieder wachsende Anteil der Menschen unvergleichlich höher, die durch ihre Religion zu Grundwerten kommen und daran glauben und die sie sich nicht durch ihre Vernunft selbst anschaffen. Das macht die Religionen so wichtig für eine solidarische Gesellschaft.

Schon deshalb sollte niemand die Kirchen gesundschrumpfen wollen, sodass nur wenige, dafür aber absolut und blind Gehorchende dabei sein dürfen. Der Hirtenbrief und die Einsicht in Rom berechtigen zur Hoffnung, zu mehr nicht.

Univ.-Prof. Andreas Khol war Nationalratspräsident.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.02.2009)

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