Intelligente Helfer in der Fabrik

05 09 2014 Berlin GER Deutschland Internationale Funkausstellung IFA City Cube Die Halle von Samsun
05 09 2014 Berlin GER Deutschland Internationale Funkausstellung IFA City Cube Die Halle von Samsunimago/Stefan Zeitz
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Smartphones, Tablets und Datenbrillen unterstützen Servicemitarbeiter, Störfälle schneller zu beheben. Die Technik soll den Menschen aber nicht bevormunden.

Internationale Firmen kennen das: Im Werk in China passiert ein Störfall, die Produktion steht, jede Minute bis zur Reparatur kostet Geld. Die Techniker in China rufen die Zentrale in Österreich an. Verständigungsschwierigkeiten und technische Probleme können dazu führen, dass man per Telefon nichts lösen kann. Der Experte aus Österreich steigt in den nächsten Flieger, um im Werk in China einen Schalter umzulegen, der den Störfall behebt.

„Das kostet Zeit und Geld“, sagt Peter Brandl von Evolaris Next Level, dem von Wissenschafts- und Technologieministerium geförderten Kompetenzzentrum für mobile Kommunikation in Graz. Er leitet das Projekt Assist 4.0, das solche Szenarien obsolet machen soll. Ein Industriepartner des Projekts ist die Grazer Knapp AG aus dem Bereich Lagerlogistik. Gemeinsam wird an der Lösung gefeilt, wie man Mitarbeiter in China, Südamerika oder Südafrika bei der Behebung von Störfällen digital unterstützen kann. „Der Servicetechniker vor Ort setzt eine Datenbrille auf, der Experte in Österreich sieht alles, was der Kollege sieht, und kann durch Sprachbefehle oder Einblenden von Informationen in der Brille Anleitung geben, was zu tun ist“, sagt Brandl.

Die Forscher von Evolaris, der Uni Salzburg und den Research Studios Austria legen bei Assist 4.0 den Fokus auf mobile Geräte, damit die Mitarbeiter in den Firmen die Information dorthin mitnehmen können, wo sie gebraucht wird. Das minimiert Wegstrecken sowie die Gefahr, auf zwischen Servicestelle und dem Gerät, das gewartet werden muss, Details zu vergessen. In Fabriken der Zukunft werden immer mehr Smartphones, Tablets und Datenbrillen eingesetzt, um den Mitarbeitern genau die Information zu liefern, die in dem Moment gebraucht wird.

Fabriksmitarbeiter werden einbezogen

„Man soll nicht durch Dokumente wühlen müssen, sondern das System filtert intelligent“, so Brandl. Über Geolocation oder individuelles Tracking sollen Assistenzsysteme wissen, wo der Mitarbeiter steht, um welches Gerät es sich handelt und welcher Fehler-Code den Störfall verursacht. Im Vergleich zu Tablets und Smartphones haben Datenbrillen den Vorteil, dass der Techniker beide Hände zum Arbeiten frei hat.

Die Testsysteme werden in enger Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern der Industriepartner Knapp, Infineon und AVL List entworfen. Denn sie sind die Experten in den Fabrikshallen. Würde man von oben diktieren, dass alle Mitarbeiter nun Datenbrillen aufsetzen, um einen Störfall zu beheben, wäre die Reaktion sicherlich ablehnend. „Ich muss die Leute von vornherein ins Boot holen und in die Konzeption der Assistenzsysteme einbinden“, erklärt Brandl.

Das Projekt will auch Augmented Reality in die Fabriken bringen: Digitale Information wird bildlich als Zusatzinformation zur realen Welt angezeigt. Streikt etwa eine Maschine, kann der Servicetechniker die Datenbrille aufsetzen und sieht Schritt für Schritt eingeblendet, welchen Knopf er drücken und welche Schraube er drehen muss.

In den Lagern von Infineon in Villach wird der Einsatz der Datenbrillen getestet. Bei dem Halbleiterspezialisten unterstützen die Brillen Mitarbeiter, die Siliziumscheiben zwischen den vielen Anlagen und Hallen transportieren. Wichtige Informationen werden direkt im Sichtfeld der Brille eingeblendet. „Dadurch ist man flexibel in der Anwendung und kann optimal auf die Benutzbarkeit eines solchen Systems eingehen“, sagt Brandl.

Wichtig sei, dass die digitalen Assistenzsysteme den Menschen nicht bevormunden. Weiß es der Mitarbeiter besser als das System, muss es die Möglichkeit geben, Anweisungen zu überspringen und das System für das nächste Mal Neues zu lehren. „Die große Herausforderung ist, das Wissen in das System zu bringen. Bisher ist das Expertenwissen in den Köpfen einzelner Personen vorhanden. All das in Datenbanken zu überführen, die dann global verfügbar sind, ist eine große Chance für alle Unternehmen“, sagt Brandl. Für die Sicherheit der Datenübertragungen in Assist 4.0 ist die Grazer Firma XiTrust im Forscherteam dabei.

Die mobilen Technologien sollen auch zur Schulung neuer Mitarbeiter eingesetzt werden. Bisher lesen Auszubildende Beispiele von Störfällen im Lehrbuch, sehen sich Online-Tutorials an oder werden in Trainingscentern geschult. Wie übt man aber für den echten Störfall? „Wenn Techniker bei jedem realen Störfall mit dem mobilen Gerät filmen, was passiert ist und wie man es gelöst hat, können die Mitarbeiter viel realitätsbezogener lernen“, so Brandl.

LEXIKON

Augmented Reality bedeutet, die Realität durch Überlagerung virtueller Informationen zu erweitern. Dazu gehört das Einblenden von Entfernungen beim Freistoß in Fußball-Übertragungen genauso wie der Blick durch die Google-Brille: Mit der Datenbrille können zu dem, was man sieht, extra Informationen aus dem Internet oder einer Zentrale eingeblendet werden. Auch für Navigation zu Fuß oder mit dem Auto gibt es Augmented-Reality-Anwendungen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.11.2014)

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