1989: Havel hat auch im Grab keine Ruhe vor Feinden

(c) EPA (Jacek Turczyk)
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25 Jahre Samtene Revolution: Über der Erinnerung der Tschechen an 1989 liegt der Mehltau der Unzufriedenheit mit heutigen Politikern. Und die Rivalitäten von damals hallen noch immer nach. Václav Havel gilt manchen als Hassfigur.

Prag. Neidvoll blickten die Tschechen dieser Tage nach Berlin, freuten sich über die Freude an die Erinnerung an den Fall der Mauer. Doch den Tschechen selbst ist am 17. November, dem Tag, an dem ihre Samtene Revolution begann, kaum nach Jubelfeiern zumute. Wie Mehltau liegt eine Art politischer Melancholie über der Moldaumetropole.
Staatspräsident Miloš Zeman sorgt für eine Peinlichkeit nach der anderen. Tausende wollen ihn am 17. November auf der Straße zum Rücktritt auffordern. Inzwischen fährt der Milliardär, Vizepremier und Finanzminister Andrej Babiš Umfragensiege ein. Ein Unpolitischer macht Karriere, weil die Politiker nichts auf die Reihe bekommen. Die Revolution scheint Lichtjahre her zu sein.

Erinnern wir uns: Lange tat sich nichts in der damaligen Tschechoslowakei, während es im Ostblock schon ringsum bröselte. Inspiration holten sich die Prager ausgerechnet bei den DDR-Bürgern, über die sie sonst gern die Nase rümpften. Tausende Ostdeutschen parkten mit ihren Trabis und Warburgs die engen Gassen der Stadt zu, um sich dann zu Fuß auf den Weg zur (west-)deutschen Botschaft zu machen, weil sie von dort aus in die Freiheit kommen wollten.

Es hat zwar immer wieder Demonstrationen gegeben: etwa im Jänner 1989 bei der Palach-Woche, Anfang November wurde in Teplice gegen die Luftverschmutzung protestiert. Doch erst eine Demonstration von Studenten in Prag aus Anlass des 50. Jahrestages der Ermordung des Medizinstudenten Jan Opletal durch die Nationalsozialisten leitete das Ende des kommunistischen Regimes ein. Die Polizei knüppelte die Studenten im Prager Zentrum zunächst nieder. Die Parteiführung meinte, alles im Griff zu haben.

Der Honecker von Prag, KP-Generalsekretär Miloš Jakeš, hat dieser Tage in einem langen Interview der „chinesischen Lösung“ nachgetrauert, dem Einsatz von Panzern gegen den Protest auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking. Dort sei danach „Ruhe gewesen“. Jakeš sprach zudem erneut davon, dass der „Umsturz“ vom tschechoslowakischen Geheimdienst und dem russischen KGB gelenkt worden sei, um Reformer an die Macht zu bringen.

Fakt ist: Die Studenten fanden mit ihrer Demonstration am 17. November schnell Nachahmer. Künstler, vor allem Schauspieler, schlossen sich ihnen an, riefen von den Bühnen zum Ende der KP-Herrschaft auf. Abend für Abend trafen sich hunderttausende Menschen auf dem Prager Wenzelsplatz und läuteten mit Schlüsselbunden den Abschied von Jakeš und Genossen ein. Am 25. November trat die alte Garde ab, die KP gab sich eine neue Führung.

Ein Märchen wurde wahr

Doch die Dissidenten um Havel, die in der Laterna magica oder im Schauspielklub tagten, nannten das eine „unzureichende kosmetische Operation“. Unterstützung erhielten sie am 27. November von Kardinal František Tomášek im überfüllten Prager Veitsdom. Die Demonstranten wichen danach vom zu klein gewordenen Wenzelsplatz auf die Letna-Anhöhe aus. Am Tag darauf legte ein Generalstreik das Land lahm. Der Manövrierspielraum der KP wurde enger und enger. Am 30. November tilgte das Parlament die „führende Rolle“ der Kommunistischen Partei aus der Verfassung.

Am 11. Dezember ernannte der kommunistische Präsident Gustáv Husák eine neue Regierung, in der erstmals auch Vertreter des Bürgerforums um Havel vertreten waren, Leute, die bis vor Tagen noch in Gefängnissen gesessen waren. Auf den Straßen ertönten die Rufe „Havel auf die Burg“. Am 29. Dezember wählte dann das noch immer kommunistisch beherrschte Parlament den einstigen Staatsfeind Nummer eins, Václav Havel, zum ersten Mann im Staat. Ein Märchen wurde wahr.

25 Jahre später zieht Václav Klaus noch immer über seinen verstorbenen Nachfolger her, nennt ihn einen „Postkommunisten“. Er kritisiert seinen Konkurrenten von damals nach wie vor – während das Volk sich von der Politik abwendet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.11.2014)

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