Regelungstechnik: Fahrspaß mit intelligentem Antrieb

(C) Vectoorc
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Am Grazer Kompetenzzentrum Virtual Vehicle wurde der erste Prototyp für eine Geländelimousine mit elektrischem Motor mitentwickelt.

Jeder vierte bis fünfte Pkw auf Österreichs Straßen ist heute ein SUV, Tendenz steigend. Immer mehr Menschen nutzen die Fahrzeuge, die sowohl in der Stadt als auch im Gelände vollen Fahrkomfort bieten sollen. Ein umweltfreundliches elektrisches Antriebskonzept für die großen Geländelimousinen fehlte aber bisher.

Wissenschaftler des Grazer Kompetenzzentrums Virtual Vehicle (VIF) haben gemeinsam mit zehn Partnern aus Wissenschaft und Wirtschaft aus ganz Europa drei Jahre lang an einem SUV mit Elektroantrieb geforscht. „Die meisten der über eine Milliarde Autos weltweit haben noch einen ,klassischen‘ Verbrennungskraftmotor. In der Fahrzeugentwicklung konzentrierten sich die Hersteller zunächst auf kleine Fahrzeuge, einen SUV mit E-Motor gibt es auf dem Markt noch nicht“, sagt Daniel Watzenig. Er leitete drei Jahre lang den österreichischen Teil des EU-Projekts E-Vectoorc.

Der Fokus der Forscher lag vor allem auf der Fahrdynamik für die Fahrzeuge, die verschiedenen Situationen gerecht werden müssen. „Ein SUV soll in der Stadt schnell reagieren und sich offroad kraftvoll bewegen, damit es in schwierigem Gelände nicht stecken bleibt“, sagt Watzenig. Es gelte, beide Welten zu bedienen, außerdem solle das Auto auch Spaß und Fahrkomfort vermitteln. „Ruckartige Bewegungen stören dabei, das muss freilich unbedingt vermieden werden.“ Und nicht zuletzt müsse das Auto natürlich sicher sein. In den unterschiedlichen Anforderungen lag dann auch die technische Herausforderung für die Wissenschaftler.

Die Forscher am Grazer Kompetenzzentrum konzentrierten sich dabei auf die sogenannte Drehmomentregelung, das ist die Kraft, die über den E-Motor auf das Rad und auf die Straße übertragen wird. „Das ist eine physikalische Kette vom Gaspedal bis zur Straße, der Fahrer wirkt dabei als Regler in diesem Regelkreis“, so der Elektrotechniker. Am VIF entwickelte man zunächst ein digitales Simulationsmodell. Die Tests am Computer sparen Zeit und Kosten, am VIF ist man auf die für die Fahrzeugentwicklung heute unverzichtbaren virtuellen Werkzeuge spezialisiert.

Vier Motoren regeln die Räder

Das Ergebnis der Forschungsarbeit ist ein völlig neuer Ansatz für Elektromotoren: Damit sich die Räder an die unterschiedlichen Bodenbedingungen möglichst gut anpassen, werden gleich vier E-Motoren verwendet. Drehmoment- und Drehzahlsensoren messen ständig den Widerstand. So lässt sich jedes Rad extra ansteuern und regeln. „Das Konzept mit vier Motoren brachte deutlich bessere Ergebnisse als eine Variante mit nur zwei Motoren“, sagt der Forscher.

Gemeinsam mit den Industriepartnern, darunter Fahrzeughersteller wie Jaguar Landrover und Skoda, bauten die Forscher einen Prototyp. Das fahrbereite, aber für die Straße noch nicht zugelassene Fahrzeug wurde im Sommer im belgischen Lommel getestet. „Wir überprüfen so die Modelle, die wir am Computer entwickelt haben, in der Praxis“, sagt Watzenig. Die Systeme werden immer wieder angepasst und weiter verbessert. Der fertige Prototyp wurde kürzlich zum Abschluss des Projekts präsentiert.

Eine erfolgreiche Entwicklung aus dem Projekt ist bereits auf dem Markt: Gemeinsam mit dem Firmenpartner TRW Automotive wurde eine elektromechanische Bremse entwickelt. Denn beim Bremsen haben Elektroautos andere Anforderungen als Autos mit Verbrennungskraftmotor: „Durch zusätzliche Komponenten, die sie an Bord haben, sind sie meist schwerer als andere Fahrzeuge. Klassische Bremskonzepte passen für Elektroautos nicht mehr“, sagt Watzenig. Die neue Bremse verkürzt den Bremsweg aber nicht nur, sie kann auch Energie zurückgewinnen: „Beim Bremsen wird zugleich die Batterie gespeist.“

Folgeprojekt bereits gestartet

Wie geht es mit der Forschungsarbeit nun weiter? Ein neues EU-Projekt, in dem die Arbeiten gemeinsam mit ähnlichen Partnern weitergeführt werden sollen, wurde bereits gestartet: Lag die Gesamtprojektleitung bei E-Vectoorc zuletzt bei der britischen University of Surrey, ist das Virtuelle Fahrzeug nun die europäische Zentrale für I-Compose. Die Herausforderung für das Projekt das ebenfalls drei Jahre läuft? Die technischen Systeme müssen verkleinert und für die Praxis weiter angepasst werden. Denn noch ist der Kofferraum des Testfahrzeugs voll mit Elektronik.

IN KÜRZE

Am Virtual Vehicle (VIF) arbeiten Forscher an neuen Fahrzeugkonzepten für Straße und Schiene. Sie nutzen dazu Methoden der numerischen Simulation, die sie in Experimenten absichern. Das VIF ist Teil des Comet-Programms und wird vom Wissenschaftsministerium und vom Technologieministerium gefördert.

Im EU-Projekt E-Vectoorc entwickelten die Wissenschaftler drei Jahre lang einen Prototyp für den ersten SUV mit elektrischem Antrieb. Die Forschungsarbeiten werden im Projekt I-Compose fortgesetzt.

Nähere Infos unter: www.i-compose.eu

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.11.2014)

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