USA lassen Erdoğan abblitzen

TURKEY USA DIPLOMACY
TURKEY USA DIPLOMACYAPA/EPA/KAYHAN OZER / PRESIDENTI
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Bei seinem Besuch in Istanbul lehnte US-Vizepräsident Joe Biden den Vorstoß Ankaras nach einer Schutzzone in Syrien ab. Zudem kritisierte er Erdoğans autokratische Tendenzen.

Istanbul. Wenn nach einem Treffen in der internationalen Politik vom hohen Gut des offenen Gedankenaustauschs unter Freunden die Rede ist, geht es meist um Zoff, der nicht beigelegt werden konnte. Beim Besuch von US-Vizepräsident Joe Biden in der Türkei war das nicht anders. Biden lobte die „offene Diskussion“ und sagte, das Verhältnis zwischen beiden Ländern sei „so stark wie immer“, während der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan von großen Übereinstimmungen sprach. Dabei waren beide Politiker in den vergangenen Wochen öffentlich aneinander geraten. Bei Bidens Besuch scheiterte die Türkei damit, die USA für ihren Plan zur Einrichtung militärisch gesicherter Schutzzonen im benachbarten Bürgerkriegsland Syrien zu gewinnen.

Die Türkei dringt darauf, in Syrien nicht nur gegen die Jihadisten vom Islamischen Staat (IS) zu kämpfen, sondern auch gegen die Regierung von Präsident Bashar al-Assad. Zwar fordert auch Washington einen Regimewechsel in Damaskus, wie es auch Biden in Istanbul wieder betonte. Doch die USA sind bisher nicht bereit, konkrete Schritte dafür zu unternehmen. Die US-Luftangriffe in Syrien richten sich ausschließlich gegen den IS und andere islamistische Milizen. Mehr als die Einigung, dass man im Gespräch bleiben wolle, konnte Erdoğan nicht erreichen. Und als Resultat ihrer grundsätzlichen Differenzen kommen Türken und Amerikaner bei den Bemühungen um eine gemeinsame Syrien-Strategie nicht weiter. Sie sind zwar einig, dass gemäßigte syrische Rebellen in der Türkei ausgebildet und bewaffnet werden sollen – doch es gibt keine gemeinsame Linie, gegen welchen Feind in Syrien diese Rebellen nach ihrer Ausbildung kämpfen sollten.

Zuerst Assad, dann IS

Weil die USA die türkischen Forderungen nach Schutzzonen und nach Verhängung eines Flugverbots über Syrien ablehnen, erlaubt die Türkei im Gegenzug der US-Luftwaffe nicht, die Jihadisten von türkischen Stützpunkten aus anzugreifen. Im Kreis ihrer westlichen Verbündeten steht die Türkei mit ihren Zielen und Plänen für eine aktive Intervention in Syrien zur Beseitigung der Assad-Regierung weitgehend alleine da. Lediglich Paris hat bisher Zustimmung zu Ankaras Positionen signalisiert. Die türkische Regierung argumentiert, dass Assads Sturz Grundvoraussetzung für alles andere in Syrien sei. „Ohne dass dies geschieht, wird es unmöglich sein, den IS loszuwerden“, sagte ein türkischer Regierungsvertreter in den vergangenen Tagen. Ankara wolle eine „umfassende Strategie“ für Syrien sehen, war vor Bidens Besuch in Regierungskreisen zu hören, und zwar einen Plan für Assads Entmachtung.

Anfang Oktober hatte Biden den Zorn Erdoğans auf sich gezogen, indem er sagte, der türkische Präsident habe ihm gegenüber zugegeben, mit der Tolerierung islamistischer Kämpfer im türkisch-syrischen Grenzgebiet einen Fehler begangen zu haben. Erbost forderte Erdoğan eine Entschuldigung, die Biden laut dem US-Präsidialamt auch lieferte. Biden selbst sagte später, er habe sich nicht entschuldigt. In Istanbul ließ der US-Vizepräsident durchblicken, wie er über den starken Mann der Türkei und dessen autokratische Tendenzen denkt. Die Konzentration von zu viel Macht in einer Hand könne „zersetzende“ Kräfte entfalten, warnte er bei einer Veranstaltung türkischer Verbände zum Thema Gewaltenteilung. Er nannte Erdoğan nicht beim Namen – doch sein Publikum verstand auch so, wer gemeint war.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.11.2014)

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