Am Sonntag, dem Abschluss des Besuchs von Franziskus in Istanbul, hätte es um eine Annäherung an die Orthodoxie gehen sollen. Die islamistische Gewalt überstrahlte jedoch alles.
Ein Naher Osten ohne Christen: Die Sorge, dass bald alle Mitglieder der größten Weltreligion aus der islamisch dominierten Gegend vertrieben werden könnten, wo der christliche Glaube vor zwei Jahrtausenden entstanden war, prägte am Sonntag den letzten Tag des Besuchs von Papst Franziskus in der Türkei.
Zusammen mit dem orthodoxen Patriarchen, Bartholomaios, beschwor der 77-jährige Papst aus Argentinien am Sonntag in Istanbul die „Solidarität aller Menschen guten Willens“, um die Massenvertreibungen, Versklavungen und Gräueltaten durch radikalislamische Gruppen wie den Islamischen Staat (IS) in Syrien und im Irak zu stoppen.
Eigentlich hatte Franziskus ja die Bemühungen von katholischer und orthodoxer Kirche um eine Überwindung der gut tausendjährigen Kirchenspaltung seit dem Großen Schisma im Jahr 1054 in den Mittelpunkt des letzten Teils seines Besuchs in der Türkei stellen wollen. In Istanbul ließ sich der Papst daher etwa demonstrativ vom Patriarchen segnen, er nahm an einem orthodoxen Gottesdienst zu Ehren des Apostels Andreas teil, der als Stifter der orthodoxen Kirche mit ihren rund 300 Millionen Anhängern gilt, und unterstrich in einer gemeinsamen Erklärung mit Bartholomaios seine Entschlossenheit, die Wiederannäherung, eventuell Verschmelzung der zwei Fraktionen weiter voranzutreiben.
Realität statt Theologendisput
Doch die brutale Realität im Nahen Osten und in der weiteren Region holte den Papst am Bosporus ein und überstrahlte uralte theologische Friktionen innerhalb der Christenheit. Der IS hat viele Christen und Yeziden aus Syrien und dem Irak vertrieben, ist aber bei Weitem nicht das einzige Problem. Wegen der Unruhen in den diversen Nahost-Staaten wandern bereits seit Jahren immer mehr Christen von dort in andere Länder aus. Im Irak beispielsweise ist die Zahl der Christen von rund 1,5 Millionen Menschen vor der US-Invasion im Jahr 2003 auf heute nur noch 200.000 bis 400.000 gesunken.
Die islamisch dominierte Türkei grenzt unmittelbar an diese Krisenherde an. Während der Papst in Istanbul mit dem Patriarchen sprach, verschärften sich die Gefechte um die syrische Stadt Kobane an der Grenze zur Türkei erneut.
Der Papst hatte nach eigenen Aussagen in den vergangenen Monaten sogar den Irak besuchen wollen, sich aus Sicherheitsgründen aber dagegen entschieden. Auch ein zunächst für möglich gehaltener Besuch Franziskus' in einem türkischen Flüchtlingslager an der Grenze zu Syrien während des Türkei-Besuchs kam nicht zustande. Stattdessen traf sich der Papst am Sonntag in Istanbul mit Flüchtlingskindern und verdammte die Gewalttaten gegen Minderheiten in der Region.
Mit der Vorstellung eines Nahen Ostens ohne Christen wollten sie sich nicht abfinden, erklärten katholischer Papst und Patriarch. Dabei achteten sie indes peinlich genau darauf, dass ihre Formulierungen bei den türkischen Gastgebern und anderen Muslimen nicht als generelle Kritik am Islam verstanden werden konnten. Papst und Patriarch forderten einen „konstruktiven Dialog mit dem Islam“ und betonten, Christen und Muslime seien „inspiriert von gemeinsamen Werten und gestärkt durch ein natürliches brüderliches Empfinden“. Religiös begründete Gewalt sei eine „schwere Sünde gegen Gott“.
Papst kam sehr gut an
Dass dies allerdings fanatische und blutrünstige Extremisten wie den IS, die Taliban in Afghanistan und Pakistan oder andere Mörderbanden etwa in Algerien, Nigeria und Somalia besonders beeindruckt, ist kaum zu erwarten. Doch bei der türkischen Öffentlichkeit hat sich Franziskus in seinen drei Besuchstagen tatsächlich den Ruf erarbeitet, es ernst mit dem Ausgleich zwischen den großen Weltreligionen zu meinen. Seine eindrucksvolle Gebetsgeste in der Blauen Moschee vom Samstag etwa wurde in der türkischen Presse fast einmütig als Zeichen des Respekts gegenüber dem Islam und als „Gebet für den Frieden im Nahen Osten“ gelobt.
Kritik von Islamisten
Lediglich einige besonders islamistische Medien unterstellten dem Heiligen Vater aus Rom, er verhalte sich wie „ein Kreuzfahrer“, der in Wahrheit langfristig bloß die Muslime unterjochen und eine Art „zweiten Vatikan“ am Bosporus errichten wolle. Diese Kritik ging allerdings eher unter.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.12.2014)