Hugo Portisch: Anonymität ist Gold wert

(c) Die Presse (Michaela Bruckberger)
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TV-Legende, Ex-Chefredakteur Hugo Portisch ist zwar Jahrgang 1927, hat aber noch nicht genug gearbeitet. Sein neues Buch über sein Leben in der Toskana ist gerade erschienen.

Wenn man Ihr neues Buch über Ihr Leben in der Toskana liest oder Ihre Karriere verfolgt, gewinnt man den Eindruck, Sie haben immer Glück gehabt. Mussten Sie nie Ellenbogen einsetzen, ist Ihnen immer alles so leicht von der Hand gegangen?

Hugo Portisch: Ich weiß nicht, ob man das als Glück bezeichnen kann – harte Arbeit war immer dahinter. Von wegen, ich schüttle die TV-Auftritte so aus dem Ärmel. Das kann man nur dann schütteln, wenn man sich vorbereitet hat.

Ihr Haus in der Toskana war reines Glück.

Das Haus in der Toskana war eine unfassbare Kette von Zufällen. Rein zufällig fuhren wir nach Italien, zufällig gab es Streik an den Tankstellen der Autobahn, so mussten wir bei Florenz von der Autobahn. Ein Kollege hatte mir zuvor eine Telefonnummer mitgegeben – falls wir in die Gegend kämen, mögen wir anrufen und zu einer Jause kommen, er würde schon dort sein. Beim Warten auf den Tankwart greife ich in die Tasche, finde zufällig seine Nummer und rufe an. Ich glaube, es gab noch zehn weitere Zufälle in den nächsten 24 Stunden, die uns schließlich zu dem Haus geführt haben.

Glauben Sie da an Vorsehung?

Nein, nichts ist Vorsehung. Das ist Zufall. Wenn ihr es Glück nennt, ist es Glück.

Ist Hugo Portisch in Italien auch bekannt wie in Österreich?

Gott sei Dank nicht im Mindesten! Nur unsere Nachbarn wissen, dass ich etwas mit Fernsehen zu tun hatte. Außer ein paar Leuten, die wir persönlich kennen, dreht sich dort keiner um. Mich lässt jeder in Ruhe. Anonymität ist Gold wert.

Ein neues Haus ist für viele Ehen der Anfang vom Ende. Bei Ihnen nicht. Was ist Ihr Geheimnis einer guten Ehe?

Natürlich spielen auch da Zufall und Glück eine große Rolle, den richtigen Partner zu finden. Danach kommt es darauf an, nicht nur miteinander tolerant umzugehen, sondern die negativen Eigenschaften des Partners zu lieben. Nicht die guten, die sowieso. Wenn man das und noch vieles andere tut, ist eine Ehe perfekt.


Sie schildern die Toskana in einem vorindustriellen Zustand. Ist es immer noch so?

Ja. Mit dem einzigen Unterschied, dass viele Junge in die Industrie abgewandert sind. Aber sie kommen immer noch am Wochenende, sitzen auf den Olivenbäumen, schneiden die Olivenbäume, helfen ihren Eltern.

Italien hat sich verändert, auch die Toskana. Nicht nur zum Positiven.

Unsere Toskana kaum. Auch die Stadt, die in der Nähe liegt, hat sich nur ausgebreitet, nicht verändert.

Die Toskana, in der Tony Blair urlaubt, und die Wiener SP, wo der Chianti fließt?

Die haben wir nie gekannt. Ich weiß nicht einmal, wo die hinfahren. Siena? Florenz? Chianti? Wir liegen zwischen Florenz und Pisa.


Hugo Portisch nimmt man es nicht übel, dass er Olivenöl und Rotwein macht, über Pilze und das Essen spricht – all diese Dinge, für die man Politiker etwa angreift.

Wir sind nicht dort, um den besten Wein zu suchen oder konspirative Versammlungen abzuhalten. Wir sind in der Natur und im Kontakt mit den normalen Menschen aufgegangen.

Keine Angebote der „Toskana-Fraktion“ zu einem Treffen in Ihrem Landhaus?

Nein, nein! In unser Haus kamen und kommen nur persönliche Freunde.

Es hat Sie keine Sekunde gereizt, selbst Politiker zu werden?

Nein, es wurde mir einiges angetragen, aber ich habe es immer abgelehnt. Nichts ist mir so wichtig wie meine persönliche Freiheit und ich liebe meinen Beruf. Aber ich habe große Hochachtung vor Menschen, die politische Zwänge auf sich nehmen, um dem Land zu dienen, gute Leute, die wissen, was zu tun ist, die die richtigen Ziele setzen und die Menschen von diesen überzeugen können. Die große Tragik in der Politik liegt in der Beliebigkeit und im Opportunismus.

Hat die Entideologisierung nicht auch etwas Gutes?

Gewiss. Die Wähler sind nicht mehr einzementiert, die Politiker müssen sich anstrengen, sie mit auf den Weg zu nehmen. Das gibt natürlich auch Demagogen eine Chance. Und es verleitet dazu, täglich auf die Umfragewerte zu schielen. Zusammen birgt es die Gefahr, sozusagen lieber mit dem Volk zu irren, als gegen es recht zu behalten.

Nach dieser These war Wolfgang Schüssel kein schlechter Kanzler.

Gestanden ist er, Nerven hat er gehabt.

Sie ärgern sich noch über Politik?

Sie geht mir manchmal sehr unter die Haut. Ich kann mich wahnsinnig ärgern. Besonders über Opportunismus.

Sie sind der Geschichtserklärer des Landes: Gehen wir mit dem Thema Vergangenheitsbewältigung zu locker und nachlässig um?

Ich glaube nicht mehr. Auch muss man unterscheiden. Was etwa oft vergessen worden ist in der Debatte über Schuld und Mitverantwortung am Holocaust: Österreich hatte gleich nach dem Krieg eine der strengsten Anti-Nazi-Gesetzgebungen in Europa. Erst nach den Amnestien und als es um die Wählerstimmen ging, begann man vieles unter den Teppich zu kehren.

Ist nach den großen Entschädigungslösungen die Vergangenheit passé?

Man hat erkannt, dass man aus der Verantwortung überhaupt nie entlassen werden kann. Zum Teil haben wir das spät, sehr spät – aber dann vorbildlich – gelöst. Auch das Bewusstsein in der Öffentlichkeit ist heute ein anderes. Bei Fällen von Neonazismus und Antisemitismus regen sich Menschen spontan und in großer Breite auf. Das wird nicht mehr hingenommen.

Was ist für Sie Österreich?

Ich liebe das Land und seine großartige Geschichte. Es hat auch eine begnadete Bevölkerung, die man aber politisch führen muss. So habe ich es sehr schmerzlich empfunden, dass wir uns früher um die Menschen hinter dem Eisernen Vorhang immer gesorgt haben – aber als der Eiserne Vorhang fiel, war das wie weggewischt. Da gingen wir nicht auf sie zu, da wurden Ängste geschürt, da hatten viele vergessen, dass wir nur mit großer Hilfe und Glück dem Schicksal, hinter dem Eisernen Vorhang zu landen, entgangen waren. Eine der wenigen Ausnahmen war Gerd Bacher, der den benachbarten Sendern das ORF-Know-how anbot.

Wie kann man eigentlich so lange beim ORF gewesen sein und fröhlich bleiben?

Ich war beim ORF nie angestellt ...

Also muss man frei beim ORF sein?

Kann ich nicht sagen. Ich habe mich mit dem ORF immer identifiziert und fühle mich von allem betroffen, was den ORF angeht. Ich bin alarmiert, was rund um ihn vorgeht, weil ich mich in vielerlei Hinsicht zurückversetzt fühle in die Zeit, als wir das Volksbegehren gegen den Proporz im Rundfunk gemacht haben.

Aber was müsste mit dem ORF geschehen?

Jede Partei will dort ihren Einfluss sichern, will ihre Leute dort haben. Das gibt es wahrscheinlich überall auf der Welt. Aber es wird dagegen im ORF Widerstand geleistet. Ich befürchte, den will man brechen, indem man mal wieder Personal austauscht und gefügigere Leute hineinbringt.

Neu ist im ORF das riesige Defizit – ein rein unternehmerisches Problem?

Das ist ein großes Problem und war vorauszusehen. In dem Moment, da mit der Digitalisierung alle deutschen Sender von allen zu empfangen waren, musste der ORF Werbung und Geld verlieren. Logisch, dass ganze Schichten wegbrachen. Erstaunlich ist, dass so viele geblieben sind.

Sie sind ja eigentlich Pensionist, aber den Eindruck hat man nicht.

Sie wissen doch, dass ich am modernsten Business- und Konferenzzentrum Österreich beteiligt bin: Your Office im Euro Plaza. Und ich ärgere mich leidenschaftlich über die österreichische Politik, wenn es was zum Ärgern gibt.

... und schreiben Bücher.

Ja, diesmal war es ein gemeinsames mit meiner Frau: „Die Olive und wir“.

Im Blick zurück: Haben Sie die Aufgabe – oder die Aufgaben – Ihres Lebens erfüllt?

Ich glaube die Aufgaben eines Lebens kann man nie ganz erfüllen. Aber einiges ist ganz gut gelungen. Etwa das Volksbegehren zur Reform des ORF, das de facto auch den Proporz ins Schwanken brachte, der konstante Kampf gegen Vorurteile und Antisemitismus, wie im Fall Borodajkevic. Es gab damals noch Diskussionen, wenn man wie ich von einer österreichischen und nicht von einer deutschen Identität gesprochen hat. Wenn Sie von Vergangenheitsbewältigung sprechen, so hoffe ich, dass die historischen TV-Dokumentationen Österreich I und Österreich II einiges dazu beigetragen haben. Daher bin ich wohl ganz zufrieden mit dem, was ich getan habe.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.03.2009)

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