Gedanklicher Leuchtturm

Hugo von Hofmannsthals Idee der Salzburger Festspiele: Der Germanist Norbert Christian Wolf entwirft ein bemerkenswertes Zeitbild aus ungewohnter Perspektive.

Die Salzburger Festspiele müsste manerfinden, wenn es sie nicht gäbe, sinniert der Klappentext zu Norbert Christian Wolfs Buch über die Gründung des Festivals, das heute aus dem österreichischen Kulturleben tatsächlichnicht mehr wegzudenken ist. Ob diese Unverzichtbarkeit eher mit finanziellen Aspekten oder doch mit der Notwendigkeit der Pflege des kulturellen Erbes zu tun hat, darüber sind sich die Kommentatoren bis heute nicht einig.

Sie waren es nie. „Eine Triumphpforte österreichischer Kunst“ sollten die Festspiele sein, so entnimmt man bereits dem Zitat, das Wolfs Essay den Titel gegeben hat. „Hugo von Hofmannsthals Gründung der Salzburger Festspiele“ hat sich der Salzburger Germanist zum Thema gewählt. Und macht schon im ersten Kapitel klar, dass zunächst ein Jurist und ein Musikkritiker erste Ideen eingebracht haben.

Der Dichter, der mit dem Theatermacher Max Reinhardt schon während des Ersten Weltkriegs entsprechende Pläne wälzte, war erst 1919 mit von der Partie. Ab dann freilich als Wortführer. Ihm, dem allseits gerühmten Poeten, lauschte man willig, wenn er nach verlorenem Krieg, verlorenem Reich, verspielter Vormachtstellung im europäischen Welttheater hochfliegende Visionen inWorte kleidete: Österreich, geografisch zur Petitesse, zum sprichwörtlichen „Rest“ minimiert, könnte seine Bedeutung als Bannerträger der Kultur behalten.

Das war der Traum, der, wie alle Träume, nicht frei von Wirrnis war. Die Szenen des Festspieldramas schrieb jener Mann, der die Figuren seiner Komödie „Der Schwierige“ in einem imaginären Wien agieren ließ, in dem in den 1920er-Jahren noch die schwarz-gelbe Fahne wehte.

Norbert Christian Wolf gelang erstmals eine umfassende Überschau. Er bindet Konzepte, Pamphlets, Kritiken, Utopien und Häme zum faszinierenden Kaleidoskop verzweifelter Selbstfindung des Künstlers nach dem Zusammenbruch der Donaumonarchie. Die Festspielidee, so wird man rasch gewahr, fungiert für Hofmannsthal als eine Art gedanklicher Leuchtturm.

Die Anläufe, einen tauglichen Festspielgedanken zu formulieren, sind wie die beiden Festspiel-„Mysterienspiele“, der „Jedermann“ und das „Salzburger Große Welttheater“, deren Entstehung und Rezeptionsgeschichte in die Untersuchung eingebunden werden, Versuche, den geistigen Kompass neu zu justieren, Dokumente der politischen,gesellschaftlichen und ästhetischen Irritation jener Ära.

Die divergierenden Ansätze – Hofmannsthal hat für österreichische, deutsche, amerikanische Leser völlig unterschiedliche Argumentationsketten parat – scheinen so disparat wie die Reaktionen darauf. Gesammelt und kommentiert ergeben sie ein bemerkenswertes Zeitbild aus ungewohnter Perspektive,das die Verwerfungen im Kleinstaat– zwischen Rotem Wien, klerikaler Konservativitätund offen agitierendem deutschnationalen und antisemitischen Eifer – seismografisch aufzeichnet.

In gewissem Sinn darf man die Entpuppung des Festspielgedankens daher schon als Teil der Festspiele sehen, ein Spektakel, dem das reale Festspieltheater gar nicht so häufig ähnlich Dramatisches, ähnlich Erhellendes zur Seite zu stellen hat... ■


Das Buch wird am 19.Dezember,
18.30Uhr, im Eroicasaal des Wiener Theatermuseums, Lobkowitzplatz 1, präsentiert.

Norbert Christian Wolf

Eine Triumphpforte österreichischer Kunst

Hofmannsthals Gründung der Salzburger Festspiele. 320S., geb., 16Abb., €26 (Jung und Jung Verlag, Salzburg)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.12.2014)

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