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Udo Jürgens: Alles erreicht, alles gegeben, alles verdient

(c) APA/KEYSTONE/STEFFEN SCHMIDT (STEFFEN SCHMIDT)
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Udo Jürgens war kein Schlagersänger. Sondern der nachhaltigste Botschafter einer Moderne, die längst wieder verklungen ist. Einer Moderne, in der schon die Jahreszahlen auf den Covers wie eine progressive Ansage wirkten.

Kann, darf, soll man etwas zu Udo Jürgens sagen, zum finalen Abschied eines Künstlers, dessen Œuvre man nie sorgfältig wahrgenommen hat? Oder ist es ein Wagnis, das zu gleichen Teilen publizistischer Pflichtschuldigkeit und professioneller Vermessenheit entspringt?

Denn die Wahrheit ist: Ich habe zeit seines Lebens nie ein Konzert des Mannes besucht, nie ein Album von vorn bis hinten durchgehört, gerade einmal ein halbwegs nennenswertes Interview mit ihm geführt. Doch ergaben sich – abseits der aktuellen Flut an Reminiszenzen, Dokumentationen und aus traurigem Anlass hervorgeholten Aufzeichnungen – viele Berührungspunkte. Sei es, weil man eine Trennlinie zwischen Pop, Austropop, deutschsprachigem Chanson und Schlager zu definieren versuchte (Udo Jürgens war als weltläufiger Entertainer bald auf dieser, bald auf jener Seite zu finden, fast immer haarscharf an der Grenze). Sei es, weil im Zug des allgemeinen Taumels um den Song Contest der Name immer wieder fiel, zwangsläufig fallen musste, im historischen Kontext wie auch im Reigen der möglichen Stargäste im Mai 2015 in Wien. Udo Jürgens wäre der denkbar souveränste Gastgeber gewesen.

„Eine seltsame, unerwartete Trauer“

Das unterschied ihn von den Sternchen und 15-Minuten-Stars des Gewerbes: eine Vita, die Erfahrungsreichtum, Leidenschaft und Vitalität mit handwerklicher Meisterschaft und ungebrochener Produktivität verschmolz. Respekt vor dieser Lebensleistung – abseits kleinmütiger Genrezuschreibungen – ist es, der jetzt sichtbar wird. In einer auch für abgebrühte Social-Media-Nutzer erstaunlichen Dichte, Detailfülle und Emotionalität. „Es ist eine seltsame, unerwartete Trauer“, schreibt der Fotograf und Journalist Manfred Klimek auf Facebook: „Das Werk des Künstlers ging mir selten nahe, doch mit ihm starb ein letzter Teil meiner Kindheit und Jugend: der Grundig-Farbfernseher, der Dual-Plattenspieler, der Sonntagsspaziergang, die kartenspielenden Tanten, die dabei selbst gestopfte Zigaretten rauchten und die Buttercremetorte beim Szauter. Das ist es, was mich heute so melancholisch macht. Und die Gewissheit, dass der alle vereinende Entertainer entweder Mario Barth heißt oder ein rechtsextremer Politiker ist. Er ging gerade rechtzeitig, um von all dem Neuen nicht mehr eingeholt zu werden.“

Es ist eine leise resignative Erinnerung, weniger an Udo Jürgens als Person und Künstler, vielmehr an eine Ära. Aber allein, dass einem leichtfertig als Schlagersänger etikettierten Bonvivant solch eine ganze Jahrzehnte prägende Strahlkraft zugeschrieben wird, ist signifikant. Man ist versucht, Klimeks Ausführungen zu ergänzen: Den symbolhaft biederen Tanten jener Tage stieß der rebellische Gestus von Jürgens' Texten auf. Hits wie „Griechischer Wein“, „Tausend Jahre sind ein Tag“ oder „Ein ehrenwertes Haus“ schmuggelten bohrende Fragen in Wirtshaus-Jukeboxes und Seniorenkränzchen, „Gehet hin und vermehret euch“ landete auf dem Index des Bayerischen Rundfunks. Es war diese Verzahnung von Haltung und Unterhaltung, die die Gefolgschaft des zuletzt in der Schweiz sesshaften Weltbürgers den Dunst der Bierzelte meiden ließ. Zumindest weithin. Vor der Zuneigung seltsamer Gestalten der jüngeren Geschichte bewahrte es ihn nicht: Die studiogebräunte lokale Politkamarilla sah in ihrem ehemaligen Landsmann – ja, was eigentlich? „Man muss sich jetzt nicht mehr entschuldigen, dass man aus Kärnten stammt“, sagte er in einem Interview nach der Abwahl der Erben Jörg Haiders: „Es stört mich einfach, wenn etwas nach faschistischem Gedankengut riecht. Da werde ich nervös.“

Derlei unzweideutige Positionen und ihre öffentliche Darlegung – geeignet, nicht nur den einen oder anderen Politgünstling am Ruder eines Medienunterhaltungsdampfers unrund zu machen – haben Udo Jürgens bis zuletzt geprägt. Seien es Anmerkungen zur fremdenfeindlichen Politik seiner Wahlheimat oder generell zur sozialen Zerrüttung unserer Gesellschaft – gerade die Diskrepanz zwischen routiniert-smartem, fast juvenilem Auftreten, weit entfernt von der seriell-öden Endlosreproduktion der eigenen Karriere, und der offensiven moralischen Seriosität eines Urgesteins verlieh diesen Botschaften eine sanfte Nachdrücklichkeit.

Mitten im Leben

Wenn man genau hinschaut, war Udo Jürgens ein Wegbereiter (oder mindestens -begleiter) einer Moderne, die heute schon wieder Geschichte ist. Von den seichten, aber einprägsamen Schlagern der Sechzigerjahre – der Song-Contest-Titel „Merci Chérie“ ist prototypisch – hin zu den nachdenklichen, neugierigen Chansons der Siebziger und Achtziger war es ein erstaunlich kurzer Weg. Ab 1968 waren schon die Hüllen der oft nur „Udo“ samt Jahreszahl betitelten Alben – zumal innerhalb der engen Klischees des Schlagerfachs – klar fortschrittliche Botschaften. Die leichtgewichtigeren, oft aus dem Handgelenk geschüttelten Petitessen dienten – „Aber bitte mit Sahne“ – zur Abrundung. Goldene Alben, „größte Erfolge“, Starporträts und Huldigungscompilations sonder Zahl ließen die Verkaufsbilanz auf hundert Millionen verkaufte Tonträger anwachsen.

Aber es sind nicht Zahlen, die im Rückblick auf den Künstler und Menschen Udo Jürgen Bockelmann so sehr beeindrucken. Es ist auch nicht die Fülle an Evergreens, die jeder von uns anstimmen kann. Es ist das Gesamtkunstwerk, das unvermittelt (und, ja, auch unvermutet) beim Zusammentragen der biografischen Wegmarken greifbar wird.

„Mitten im Leben“ hieß – bittere Ironie – die letzte Tour. Für Februar 2015 war in der Wiener Stadthalle schon ein Zusatztermin fixiert, er findet sich noch auf den Webpages der Kartenbüros. Das Ende des größten Entertainers des deutschsprachigen Raums kam zu unerwartet, zu jäh, zu überraschend, nicht nur für die engsten Begleiter, sondern auch für die Fans und professionellen Beobachter des Showgeschäfts. Tröstlich allein ist der Gedanke, dass – bei aller Tragik – Udo Jürgens persönliche Bilanz „mitten im Leben“ über seinen 80.Geburtstag hinaus durch weitere Superlative nicht mehr anzureichern schien. Der Mann hat alles erreicht, alles gegeben, alles verdient. Merci.

Walter Gröbchen, geboren 1962 in Wien, ist Musikmanager, Journalist und Austropop-Experte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.12.2014)

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