Kritik: Bühne: Gänsemarsch der Seelenwelten

Schön: Serapions-Ensemble verlegt Masque aus der Renaissance ins Wiener Odeon.

Finsternis. Stille. Plötzlich ein Lichtstrahl, der einen Weg weist. Eine mysteriöse Gestalt schält sich aus der Dunkelheit auf den Pfad, ihre Gangart so fremdartig wie ihre Bekleidung. Dann noch eine, und noch eine. Mit schöner Regelmäßigkeit tröpfeln sie in die Szenerie und auf der anderen Seite wieder hinaus. Man denkt an den Zug der Lemminge. Aber nicht in den kollektiven Selbstmord, sondern in die kollektive Erkenntnis. Eine Erkenntnis, die weniger Resultat von Denkarbeit ist als von bewusstem Erleben.

Zu diesem ideellen Ziel streben die Figuren in „Follow me – Masque of Temperaments“ des Serapions-Ensembles im Wiener Odeon, die der Renaissance-Form der „Masque“ nachempfunden ist. Vor der höheren Lebensweisheit müssen aber sieben Temperamente durchlebt werden. Sieben? Heute kennt man vier, das geozentrische Weltbild war da weniger geizig: Den damals sieben Planeten (inklusive Sonne und Mond) wurden ebenso viele Seelenzustände beigesellt, von Hass bis Liebe, von Neugier bis Melancholie.

Zur produktiven Irritation

Zum zweiten Mal arbeitete das Ensemble mit Lorenz Duftschmid und seinem Originalklangkörper „Armonico Tributo Austria“ zusammen. Die freie Form der Masque kommt dabei der Gattungsgrenzen sprengenden Arbeitsweise des Serapions-Ensembles sehr entgegen. Wie in einem System von Zahnrädern greift eines ins andere: Duftschmids Auswahl von Renaissance-Musik (vom genialen John Dowland oder dem seltener gespielten Anthony Holborne) und die Shakespeare-Texte, gelesen von Niels Badenhop. Dessen Textverständlichkeit vermisste man leider bei Susanne Rydén, die die Sopranpartie für die erkrankte Maria Cristina Kiehr übernahm.

Dazu die suggestive Körperarbeit der Tänzer mit ihren fernöstlichen Bewegungszitaten sowie eine Reihe effektvoller Einfälle mit einfachen Mitteln, von der Plastikplane bis zum Spiegelkabinettstück. Alles zum höheren Ziel, die Wahrnehmung zu erweitern, deren Ebene schon dadurch verschoben ist, dass das Publikum diagonal im Raum platziert wird, zur produktiven Irritation. Nach dem Durchleben der sieben Seelenzustände – am Ende natürlich die Liebe – lösen sich alle Spannungen des Gemüts im Rollschuhballett auf. Ein bisschen Optimismus wird in Krisenzeiten wohl erlaubt sein! hd

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.03.2009)

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