Lenin in Poronin

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Über die Feiertage hat mir mein Schwiegervater einen Lenin-Witz erzählt, mit dem man sich, natürlich nur hinter vorgehaltener Hand, seinerzeit in der Volksrepublik Polen über die sowjetischen Besatzer und ihren Personenkult lustig gemacht hat.

Bevor ich ihn hier wiedergebe, sei jedoch eine Frage aufgeworfen, die mich schon lange vor dem schlimmen Pariser Angriff auf die Satire zu beschäftigen begonnen hat, nämlich: Was ist aus dem politischen Witz geworden?

Sie wissen schon: die geistreiche Vignette, die man sich beim zufälligen Treffen auf der Straße ebenso rasch erzählt wie im Wirtshaus, der Witz, der seiner gemeinsamen Wortwurzel mit dem Wissen gerecht wird und eine Kenntnis der Zwangslagen unserer Politiker mit dem Gespür für die ironischen Abgründe so eines öffentlichen Amtes vereint.

Mir scheint, dass es das heute kaum mehr gibt. Liegt es am Respektverlust? Humor blüht schließlich dort besonders prachtvoll, wo die Fallhöhe zwischen Anspruch und Wirklichkeit besonders groß ist. Oder kann der Scherz seinen Haken an den glatten, austauschbaren Männern und Frauen nicht mehr fixieren, die für alles offen, aber zu kaum einer Festlegung bereit sind?

Ich weiß es nicht, aber wenigstens den alten polnischen Witz möchte ich Ihnen erzählen. Also: 1913/14 hielt sich Lenin auf seiner Flucht vor den zaristischen Behörden im galizischen Örtchen Poronin auf. Dieser Umstand animiert Jahre später den örtlichen Kulturkommissar der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei, einen Malwettbewerb zum Thema „Lenin in Poronin“ auszurufen. Die eingereichten Werke bei der Ausstellung abschreitend, bleibt der Kommissar verdutzt vor einem Gemälde stehen, das, inmitten einer ansonsten menschenleeren Waldlandschaft, Lenins Gattin, Nadeschda Krupskaja, bei der, man kann es kaum anders ausdrücken, geradezu bourgeois-konterrevolutionären Unzucht mit einem fremden Herrn zeigt. Der Kommissar wird vor Zorn leichenblass. „Wer ist das?“, fragt er den Maler. – „Na, die Krupskaja“, antwortet der. – „Und wo ist Lenin?“ – „Lenin? Der ist in Poronin.“

E-Mails an: oliver.grimm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.01.2015)

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