»Roman ohne U«: Irrwege aus Sibirien

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Judith W. Taschler hat im Vorjahr mit ihrem Thriller den Friedrich-Glauser-Preis gewonnen. Jetzt legt sie den kompliziert verschachtelten Familienroman »Roman ohne U« vor.

Der Titel von Judith W. Taschlers neuem Werk, „Roman ohne U“, lässt an Georges Perec denken, der Ende der 1960er-Jahre einen Roman schrieb, der ganz ohne den auch im Französischen häufigsten Buchstaben E auskommt. Sich eine solche formale Beschränkung aufzuerlegen ist jedoch nicht Judith W. Taschlers Anliegen. Das U hat unter den Vokalen insofern eine Sonderstellung, als es besonders häufig in sexuell konnotierten Schimpfwörtern vorkommt. Doch auch das hat für Taschlers Roman keinerlei Bedeutung.

Der Titel ergibt sich daraus, dass sich Thomas, ein ehemaliger Gulag-Häftling, als er nach 20 Jahren endlich nach Hause kommt, seine traumatischen Erlebnisse in Sibirien von der Seele schreibt. Bei der alten Schreibmaschine, die er dazu benützt, klemmt das U und ist schließlich auf dem Papier gar nicht mehr sichtbar. Dabei ist gerade das U für Thomas' Geschichte so wichtig, kommt es doch sowohl in Russland als auch in Ludovica vor, dem Namen jener Frau, die Thomas in der Haft kennen und lieben lernt. Irgendwann bricht das Manuskript ab. In diesem unvollständigen Zustand wird es Katharina Bergmüller übergeben. Sie ist Biografin und soll nun aus dem Manuskript und einem Band, das von einem Psychiater aufgenommen wurde, ein Buch machen.

Aus den Fugen. Der „Roman ohne U“ spielt auf unterschiedlichen Zeitebenen, Katharina ist eine der Hauptfiguren der Jetztzeit. Ihr nur scheinbar glückliches Familienleben gerät endgültig aus den Fugen, als ihr Mann Julius bei einem Autounfall ums Leben kommt, bei dem aber auch Katharinas Auftraggeberin stirbt. Und schließlich wird deutlich, dass es zwischen Katharinas Schicksal und jenem des Gulag-Häftlings und seiner Geliebten, Ludovica, eine Verbindung gibt.

Dem Entwirren dieses mehrfach verhedderten Knäuels zu folgen ist spannend. Gelungen ist auch, wie Taschler hochdramatische Ereignisse mit ruhig vor sich hin plätschernden Episoden abwechselt. Irritierend ist allerdings die Sprache. Es gab Kritiker, die meinten, Herta Müller habe mit ihren sehr artifiziellen, poetischen Sätzen den Gulag verharmlost, ja verkitscht. Das wird man Judith W. Taschler nicht vorwerfen. Ihre Sätze sind nüchtern-prosaisch, klingen an manchen Stellen sogar eher nach amtlichem Bericht als nach Literatur. Wir erfahren, dass Katharina einsam ist, aber wir fühlen es nicht. Wir lesen, wie Thomas friert, aber uns ist mollig warm – auch wenn man sagen muss, dass Taschler in den Gulag-Kapiteln weitaus näher an ihren Figuren dran ist.

Will uns die Autorin immer wieder klarmachen, dass es Fiktion ist? Ein Brecht'scher Verfremdungseffekt also? Dafür spricht einiges. So werden die Leser sogar angesprochen. Am direktesten in jener Passage, in der uns Taschler die Mitglieder der Familie Bergmüller vorstellt – inklusive der Schuhgröße, übrigens.

Das Buch ist in „Rashomon“-Perspektive geschrieben – ein und dieselbe Geschichte wird von den verschiedenen Protagonisten erzählt. Dadurch ergeben sich immer neue Aspekte, Einsichten, Handlungsstränge, die das Buch stellenweise sogar überfrachten. Etwa in jenem Kapitel, in dem Julius eine Affäre mit der Mutter einer ehemaligen Schulkollegin beginnt, die sich dann über längere Zeit hinzieht. Sie reicht jedoch schon in seine Jugend zurück. Als Fünfzehnjähriger wurde er von dieser Frau bereits verführt. Musste hier also das Tabuthema Sex mit Minderjährigen auch noch mit hinein?

Apodiktische Aussagen. Judith W. Taschler gelingt es allerdings, all die losen Enden zu einem in sich stimmigen Ganzen zusammenzufügen. Immer wieder aber wird man abrupt aus der Geschichte herauskatapultiert, etwa auch durch eingestreute, seltsam apodiktisch klingende Sätze à la: „Im hohen Alter, angesichts des Todes, gibt es keine Geheimnisse mehr.“ Aha.
Insgesamt nicht nur inhaltlich ein verstörendes Buch.

Judith W. Taschler liest am 21. Jänner um 19.00 Uhr in der Thalia-Buchhandlung, Mariahilfer Str. 99, 1060 Wien.

Neu Erschienen

Judith W. Taschler „Roman ohne U“
Picus Verlag
336 Seiten, 22,90 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.01.2015)

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