Vor 750 Jahren: Die "Mutter aller Parlamente" entsteht

Parlament in London
Parlament in London (c) EPA (ANDY RAIN)
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Am 20. Jänner 1265 setzt sich ein entschlossener Graf gegen seinen ignoranten König durch - und lässt das erste repräsentative Parlament in England zusammentreten.

Großbritannien hat 2015 zum Gedenkjahr auserkoren. Der Grund: das 750. Jubiläum des „House of Parliament“, gemeinhin auch als „Mutter aller Parlamente“ bekannt. Exkursionen, Vorträge und Workshops sollen an das demokratische Erbe erinnern, das einerseits durch die Magna Carta, andererseits durch die Entschlossenheit eines Mannes auf den Weg gebracht wurde.

Im Juli 1214 muss sich König Johann von England – von seinem Vater Heinrich II. einst „John Lack-land“ (Johann Ohneland) genannt – in der Schlacht bei Bouvines geschlagen geben und verliert alle Gebiete nördlich der Loire. Der Adel nutzt die Niederlage, um sich gegen den unpopulären Herrscher zu erheben. Er verlangt die schriftliche Bestätigung seiner Privilegien, Steuereintreibungen soll künftig die Reichsversammlung zustimmen, der König an das Gesetz gebunden sein. Am 15. Juni 1215 unterzeichnet Johann die „Magna Charta libertatum“. 1258 setzen die Barone in den „Provisions of Oxford“ die politische Mitbestimmung durch.

1264 bekommt Johanns Nachfolger Heinrich III. die Macht der Dokumente zu spüren, als er zur Finanzierung des Krieges um die sizilianische und die deutsche Krone die Steuern erhöhen will. Die Barone verweigern sich – allen voran Simon von Montfort. Der Earl von Leicester ist mit des Königs Schwester Eleanor verheiratet und gilt als einer der einflussreichsten Männer des Landes.

Simon von Montfort, Earl von Leicester
Simon von Montfort, Earl von Leicester(c) imago/Leemage

Als der Monarch droht, die schriftlichen Vereinbarungen zu brechen, ruft Montfort aus Wut über dessen Überheblichkeit gemeinsam mit Gilbert dem Roten, Earl von Clare, die Barone zusammen. Das Ziel: eine Rebellion. Nach einigen Disputen setzen sich im Frühjahr 1264 unter der Führung von Montfort Kampfwillige in Bewegung. Am 14. Mai treffen die Truppen bei Lewes auf die Soldaten des Königs. Die Versuche des Bischofs von Chichester, Heinrich III. zu einer friedlichen Lösung des Konfliktes zu bewegen, scheitern. Der Monarch gibt sich siegesgewiss, seine Armee ist jener von Montfort schließlich zahlenmäßig überlegen. Doch er irrt: Die königlichen Soldaten werden besiegt, Thronfolger Prinz Eduard entführt.

Umgehend setzt Montfort eine dreiköpfige Regierung unter seiner Leitung ein und stellt ihr ein Parlament vor. Dazu beruft er neben 120 Geistlichen und 23 Baronen je zwei Ritter aus jeder Grafschaft und – erstmals in der Geschichte – je zwei Bürger aus allen „Boroughs“ (Städte oder Großstadtteile) ein. Schon am 20. Jänner 1265 wird in der Westminster Hall über die Steuerfrage „parliert“ - und damit der Grundstein der englischen Nationalrepräsentation gelegt.

Vormarsch der "bürgerlichen Kammer"

Doch der Weg des späteren „Unterhaus“ sollte nicht ohne Widrigkeiten sein: Der entflohene Eduard besiegt das Heer von Montfort im August 1265 bei Evesham. Der Earl verliert in der Schlacht sein Leben, das mit ihm verbündete London verliert seine Vorrechte, Heinrich III. ist wieder alleiniger Herrscher. Letzterer beseitigt umgehend die Bestimmungen der „Provisions of Oxford“ und das daraus resultierende Prinzip einer parlamentarischen Gewaltenteilung aus dem englischen Staatswesen. Rund 30 Jahre sollten bis zur nächsten Einberufung des englischen „Parliament" vergehen.

Denn der nach Heinrichs Tod 1272 zum König gekrönte Eduard I. ruft erst 1295 wieder eine Volksvertretung ein, um seine Steuer- und Abgabenvorhaben billigen zu lassen - und bestätigt so Montforts Regelwerk. Die Institution, die als „Modellparlament" in der englischen Geschichtsschreibung vermerkt ist, verleiht abermals sowohl dem Adel als auch dem Bürgertum eine Stimme vor dem König.

Simon von Montfort stirbt in der Schlacht bei Evesham
Simon von Montfort stirbt in der Schlacht bei Evesham(c) imago/Leemage

1341 beschließt Eduard III., der Enkel von Eduard I., schließlich die Aufteilung des Parlaments auf zwei Häuser: Ritter und Bürger treten fortan im „Unterhaus“, Kleriker und Adelige im „Oberhaus“ zusammen. Lange den „Lords“ unterlegen, gilt das „House of Commons“ heute als politisch entscheidende Kammer des britischen Parlaments. Ihm gehören 650 Abgeordnete an, die nach dem Prinzip der Mehrheitswahl gewählt werden. Die Auflösung des Hauses erfolgt durch den Monarchen, auf Vorschlag des Premierministers, und erfolgt spätestens nach fünf Jahren.

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