Venezuela: Leben mit einer Inflationsrate von 63 Prozent

People line up to buy toilet paper and baby diapers as national guards control the access at a supermarket in downtown Caracas
People line up to buy toilet paper and baby diapers as national guards control the access at a supermarket in downtown Caracas(c) REUTERS (JORGE SILVA)
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In Venezuela verliert das Geld täglich an Kaufkraft, die Schlangen vor Geschäften und Bankomaten werden immer länger. Der Ölpreisverfall droht das Land in eine tiefe Krise zur stürzen.

Während in Europa die Deflationsangst umgeht, hat man in Venezuela ganz andere Sorgen. Die Inflationsrate in Venezuela ist eine der höchsten weltweit, bis Ende 2014 kletterte sie auf 63 Prozent im Jahresvergleich. Die schwere Wirtschaftskrise macht den Alltag für viele Venezolaner zu einem Überlebenskampf. Vor Supermärkten, Apotheken und Elektrogeschäften bilden sich bereits im Morgengrauen lange Schlangen. Grundnahrungsmittel wie Milch, Butter und Mais sind in dem südamerikanischen Land ebenso wie Seife, Windeln oder Toilettenpapier zu knappen Gütern geworden. In den sozialen Medien werden Tipps ausgetauscht, wo welche Produkte womöglich noch erhältlich sind.

Acht Stunden pro Woche für Einkaufen

Durchschnittlich acht Stunden pro Woche verbringen Venezolaner inzwischen damit, von Geschäft zu Geschäft zu rennen, um Dinge des täglichen Bedarfs zu ergattern, wie das Institut Datanalisis herausfand. Auch der tägliche Gang zum Bankautomaten gehört für viele Menschen inzwischen zur Routine, während ihr Geld täglich an Kaufkraft verliert.

Wegen des Ölpreisverfalls gerät das Land, das vermutlich über die größten Erdölreserven der Welt verfügt, zunehmend unter Druck. Das schwarze Gold macht 96 Prozent der Deviseneinnahmen Venezuelas aus. Die Ratingagentur Moody's stufte die Kreditwürdigkeit des Landes kürzlich um zwei Stufen auf "Caa3" herab. Die Gefahr einer Staatspleite sei "deutlich gestiegen".

Eine Tankfüllung um wenige Cent

Präsident Nicolas Maduro kündigte am Mittwoch an, den Mindestlohn um 15 Prozent zu erhöhen und Änderungen din der Geldpolitik vorzunehmen. Auch über eine Kürzung der Benzin-Subventionen müsse diskutiert werden, forderte Maduro. Treibstoff ist in Venezuela dank staatlicher Milliarden-Zuschüsse so billig wie in keinem anderen Land der Welt. Der Benzinpreis ist ein hochsensibles Thema für die Venezolaner, die sich daran gewöhnt haben, für eine Tankfüllung umgerechnet nur wenige Cent zu zahlen. Eine Preiserhöhung im Jahr 1989 hatte schwere Unruhen mit hunderten Toten ausgelöst.

Präsident Nicolas Maduro
Präsident Nicolas Maduro (c) Reuters (JORGE SILVA)

Der Elektriker Carlos Jones hat sich mittlerweile auch daran gewöhnt, sich vor seiner Arbeit in die Schlangen vor den Geschäften einzureihen. Auch in der Mittagspause und nach Feierabend zieht er oft los, um seine Einkäufe zu erledigen. "Heute war ich in drei Geschäften, in einem habe ich Deodorant gekauft, in einem anderen Seife", erzählt der 50-Jährige. "Gestern habe ich mich drei Stunden lang angestellt und als ich dran war, war das, was ich gesucht habe, ausverkauft."

"Coleros" stehen für Geld an

"Noch nie haben so viele Geschäfte früher geschlossen oder später geöffnet, weil sie keine Waren mehr anzubieten haben", klagt Mauricio Tancredi, Präsident der Handelskammer Consecomercio. In der Krise ist sogar ein neuer Berufszweig entstanden: "Coleros" (abgeleitet vom spanischen Wort für Schlange, "cola") übernehmen die lästigen Einkaufstouren für Familien, die keine Zeit dafür haben, oder reiche Kunden, die es sich leisten können, andere dafür zu bezahlen. Andere stellen sich an und verkaufen ihren Platz in der Reihe später an andere Wartende.

Auch die 22-jährige Krisbell Villarroel aus der Hauptstadt Caracas verdient ihren Lebensunterhalt, in dem sie für andere auf die Jagd nach knappen Gütern geht. "Ich stehe jeden Tag um zwei Uhr auf und rufe meine Freunde an, um herauszufinden, was wo angeboten wird", berichtet die alleinstehende Mutter zweiter Kinder. "In einem Laden gibt es vielleicht Milch, Zucker oder Kaffee, im nächsten Mehl, Reis, Windeln oder Shampoo." Zahlreiche Restaurants in Caracas beschäftigen Mitarbeiter, deren einzige Aufgabe es ist, in Supermärkten nach Lebensmitteln anzustehen.

(APA/AFP/Jesus Olarte)

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