„Wir sollten die Unis zusammenführen“

RUDOLF ZECHNER
RUDOLF ZECHNER(c) APA (GEORG HOCHMUTH)
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Biochemie. Mit dem Louis-Jeantet-Preis für Medizin 2015 geht eine wichtige europäische Auszeichnung an den Österreicher Rudolf Zechner. Der Preisträger im Gespräch über die Anfänge der Fettforschung und Perspektiven für junge Forscher.

Die Presse: Sie sind mit einer „Science“-Publikation ins neue Jahr gestartet. Gemeinsam mit amerikanischen Kollegen berichten Sie über einen Fettstoff, der beim Fadenwurm C. elegans bestimmte Gene aktiviert, die das Leben verlängern. Was genau haben Sie herausgefunden?

Rudolf Zechner: Die wesentliche Erkenntnis war, dass die Lipolyse, also ein fettabbauender Prozess, an der Herstellung bestimmter Signalmoleküle beteiligt ist. Diese wiederum können wichtige physiologische Prozesse in der Zelle und im Organismus regulieren. Das Signalmolekül war bisher nicht bekannt, seine Relevanz für die Biologie des Alterns ist also völlig neu.

Wenn es gelingt, das Altern bei Würmern zu bremsen, wann wird es beim Menschen so weit sein?

Das muss man noch untersuchen. Verschiedene Alterungsmodelle schlagen bei Fadenwürmern sehr rasch an. Es gibt mehrere Beispiele von massiv lebensverlängernden Prozessen im Wurm, die sich dann bei Säugetieren nicht als so vielversprechend erweisen. Inwieweit also der neu entdeckte Mechanismus auch beim Altern von Wirbeltieren oder des Menschen relevant ist, muss erst gezeigt werden.

Ein Fokus Ihrer Arbeit liegt auf der Kachexie, der Abmagerung, an der Krebs- oder Aidskranke leiden. Daran, und nicht an der Grundkrankheit, stirbt etwa ein Drittel der Patienten...

Das ist im selben Zusammenhang zu sehen. Die Forschung zur Lipolyse hat sich über viele Jahre darauf beschränkt, zu sehen, wie die Lipolyse funktioniert, wie sie reguliert wird, welche Hormone den Fettabbau beeinflussen. Wir stellen jetzt die umgekehrte Frage: Wie reguliert die Lipolyse verschiedene Funktionen wie zum Beispiel das Wachstum von Zellen? Dabei hat sich unter anderem gezeigt, dass die Lipolyse einen mechanistisch bislang ungeklärten Einfluss auf die Kachexie im Zusammenhang mit Krebs hat. Neuere Untersuchungen zeigen, dass die Lipolyse auch das Krebszellwachstum selbst beeinflusst.

Lassen sich die Perspektiven für die Patienten schon abschätzen?

Wir sind Biochemiker und wollen Prozesse verstehen, wie Stoffwechselvorgänge, Zellen und Organismen funktionieren. Langfristig hat das natürlich die Konsequenz, dass man auch Krankheiten besser verstehen und heilen kann. Aber die Herstellung von Medikamenten und die Behandlung der Krankheiten sind ein klarer Auftrag an Pharmaindustrie und Medizin.

Wo stehen Sie mit Ihrer Fettforschung, kann die Wissenschaft beim Schlankmachen helfen?

Wir sehen Fettleibigkeit nicht als Hauptproblem. Übergewichtige und fettleibige Menschen sind relativ gesund, solange sie das Fett dort ablagern, wo es hingehört, nämlich im Fettgewebe. Das Problem der Folgeerkrankungen beginnt erst, wenn die überschüssigen Kalorien in andere Gewebe gehen. Folgen sind dann Fettleber, Herzdysfunktion oder Diabetes Typ 2. Eine wichtige Frage ist also: Wie bekomme ich überschüssige Kalorien in die Fettzellen?

Wie lässt sich Fettleibigkeit verhindern?

Das ist relativ einfach, indem ich weniger Kalorien zu mir nehme. Sind die Kalorien einmal im Körper, können sie nur noch durch Verbrennung verschwinden. Es gibt zwar die Möglichkeit, Appetitzügler zu entwickeln. Diese Medikamente haben sich aber nicht sehr bewährt. Behandelte Personen wurden depressiv, sogar die Selbstmordrate ist gestiegen.

Und was wären weitere Möglichkeiten?

Alternativ kann man versuchen, den Energieumsatz zu erhöhen, indem zum Beispiel die Wärmeerzeugung im braunen Fettgewebe angeregt wird. Würde man den Körper dazu bringen, aus Fett mehr Wärme zu erzeugen, wäre das eine effektive Strategie, um überschüssiges Fett abzubauen.

Als Sie mit Ihrer Forschung begonnen haben, war die Lipid- und Fettforschung eher eine Nische in den Biowissenschaften.

Die Fettforschung war damals fast ein Orchideenfach. Sie war einfach nicht in Mode und galt lange als Stiefkind der Biowissenschaften. In den letzten 20 Jahren hat die Lipid- und Stoffwechselforschung dann einen gigantischen Aufschwung erlebt, nicht zuletzt durch die Zunahme der Zahl übergewichtiger und fettleibiger Personen in den USA und anderen westlichen Gesellschaften. Mit der Wiederentdeckung der Bedeutung des Stoffwechsels bei Erkrankungen wie Krebs oder kardiovaskulären Erkrankungen wurde unser Forschungsthema dann wieder sehr aktuell.

Sie haben 2013 einen mit 2,5 Millionen Euro dotierten ERC-Grant erhalten. Diese Auszeichnung der Europäischen Union ist an die Person und nicht an die Institution gebunden. Warum sind Sie dennoch in Graz geblieben?

Graz ist eine tolle Stadt und als Wissenschaftsstandort durchaus wettbewerbsfähig. Allerdings gibt es auch bestimmte Nachteile.

Welche?

Der Grazer Standort ist an sich schon klein. Aber dadurch, dass sich die Universitätslandschaft auf vier Universitäten aufteilt, ist jede Uni stark untergewichtig. Um international wirklich wettbewerbsfähig zu sein, müssten die Universitäten zusammengefasst werden. Das würde mehr Sichtbarkeit bringen und weniger Bürokratie.

Hat sich durch Kooperationen wie Nawi Graz in den Naturwissenschaften oder BioTechMed Graz etwas geändert?

Das sind sehr wichtige erste Schritte, die mehr Kooperation gebracht haben: in der Lehre und in der Forschung. Aber da darf man nicht stehen bleiben. Ich würde mir wünschen, dass das nur ein Meilenstein auf einem Weg ist, der noch weitergeht. Die amerikanische Stanford University hat 250 Fakultätsmitglieder in den Biowissenschaften, mehr als alle wissenschaftlichen Mitarbeiter der Naturwissenschaftlichen Fakultät der Uni Graz zusammen. Vieles wäre besser zu organisieren, wenn wir eine einzige große Uni wären. So leisten wir uns etwa in Graz vier unabhängige Uni-Bibliotheken mit dem Problem, dass jeweils nur den eigenen Universitätsangehörigen ein elektronischer Zeitschriftenzugang möglich ist. Ich habe zum Beispiel keinen Zugang zur elektronischen Zeitschriftenliteratur der Grazer Med-Uni.

Kooperation scheint in Graz aber immerhin besser zu funktionieren als etwa in Wien?

Das ist vielleicht deshalb so, weil wir noch abhängiger davon sind. Wien ist groß und hat tolle Forschungszentren im Bereich der Biowissenschaften mit großen Erfolgen. Da lässt sich vieles im Alleingang besser schaffen. Das ist in Graz nicht möglich. Kleinere Standorte müssen sich stärker koordinieren, um nach außen sichtbar zu sein. Auch, um gute Leute zu holen.

Wie gut gelingt das?

Auch da muss man unterscheiden zwischen Hauptstadt und Provinz: Es ist einfach nicht so, dass die ganze Welt am liebsten nach Graz kommt und erst dann an Harvard oder Cambridge denkt. Daher ist es schwierig, internationale Topleute zu rekrutieren. Graz ist eben nicht Cambridge und auch nicht Wien. Wien ist als europäische Großstadt in der internationalen Forschungsgemeinschaft viel sichtbarer. Das ist ein gewisser Rekrutierungsvorteil für Wien. Außerdem fehlt oft das Geld, um wirklich tolle Leute nach Graz zu holen.

Und die Konsequenz?

Es ist nicht nur schwierig, neue Leute anzuziehen. Wir verlieren oft auch sehr gute junge Wissenschaftler mit Top-Publikationen in „Science“, weil wir keine entsprechenden Karriereperspektiven anbieten können. Die Universitäten brauchen einen Expansionskurs, den ich momentan nicht sehe.

Hat die Grundlagenforschung auch ein Vermittlungsproblem?

Natürlich müssen wir besser vermitteln, wie wichtig Grundlagenforschung ist und dass man dafür einen langen Atem braucht. Wir können nicht sofort mit schnellem Profit winken wie jemand, der vielleicht einen besseren Schraubendübel erfindet. Trotzdem ist unbestritten, dass Grundlagenwissenschaft ökonomisch und kulturell von größter Bedeutung ist. Daher ist es kein Zufall, dass gerade jene Länder, die den Grundlagenwissenschaften einen hohen Stellenwert einräumen, auch jene sind, die als besonders lebenswert und ökonomisch erfolgreich gelten. Wir müssen das der Politik und potenziellen Mäzenen nahebringen.

Was wünschen Sie sich hier?

Ein Beispiel: Der Franzose Louis Jeantet, auf den die Stiftung zurückgeht, die jährlich den Louis-Jeantet-Preis für Medizin vergibt, war erfolgreicher Auto- und Autoreifenhändler. Ich wünsche mir, dass sich auch in Österreich Unternehmen mit Stiftungen vermehrt in die Finanzierung der Grundlagenforschung einbringen. US-Universitätsgründungen durch Unternehmer wie Stanford, Yale oder Vanderbilt oder der von Alfred Nobel gestiftete Preis zeigen, wie sich durch Unterstützung von Wissenschaft eine sprichwörtliche Unsterblichkeit erreichen lässt.

ZUR PERSON

Rudolf Zechner wurde 1954 in Graz geboren. Der Biochemiker forschte mit einem Erwin-Schrödinger-Stipendium des Österreichischen Wissenschaftsfonds FWF in den USA, seit 1998 ist er Professor an der Uni Graz. 2007 erhielt er den mit 1,5 Millionen Euro dotierten Wittgensteinpreis, 2013 brachte ihm einer der begehrten „Advanced Grants“ des Europäischen Forschungsrates (ERC) eine Förderung von 2,5 Millionen Euro. Nun wurde bekannt, dass Zechner am 22. April den Louis-Jeantet-Preis für Medizin 2015 bekommt. Das Preisgeld: rund 612.200 Euro für die Forschung und 73.400 Euro zur eigenen Verfügung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.01.2015)

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