Ägypten: Vom Traum zum Albtraum

Tahir
Tahir(c) EPA (HANNIBAL HANSCHKE)
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Am 25.Jänner 2011 begannen die Proteste, die „Pharao“ Mubarak zu Fall brachten. Eine Aktivistin blickt zurück.

Mahienour El-Massry wirkt völlig unbeeindruckt. Vier Monate saß die junge Anwältin im Gefängnis – seit Kurzem ist sie auf freiem Fuß und kann jederzeit wieder eingesperrt werden. Wenn die bekannteste Aktivistin von Alexandria über die Lage der Demokratiebewegung in Ägypten redet, greift sie gern zu Metaphern aus der Boxersprache. „Wir haben schwer eingesteckt“, sagt die 29-Jährige. „Eine Runde haben wir verloren, aber nicht den gesamten Kampf.“

Mahie, wie ihre Freunde sie nennen, gehört zu den Revolutionären Sozialisten, eine der ganz wenigen säkularen Parteien, die die von Ägyptens Militär erzwungene Absetzung des islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi am 3.Juli 2013 nicht bejubelte, sondern ablehnte. Ihre Tante Sanaa war ihr Vorbild - aktive Kommunistin und bis zu ihrem Tod 2001 das rote Schaf in der sonst strenggläubig-islamischen Familie. Ihr Vater dagegen, der 2009 starb, war immer strikt gegen die politische Arbeit seiner ältesten Tochter. Nach dem Sturz Mubaraks am 11.Februar2011 ging Tochter Mahienour zu seinem Grab, wie sie in einer Dokumentation über Frauen im Arabischen Frühling erzählt: „„Ich wünschte, du wärst hier und könntest sehen, dass die, die du immer Sklaven genannt hast, keine Sklaven mehr sind. Ihr Leben wird besser sein, denn sie haben an ihre Träume geglaubt.“

Heute, im Ägypten von Ex-Feldmarschall Abdel Fatah al-Sisi, jedoch dominieren vor allem die Albträume. Mindestens 20.000 politische Gefangene sitzen hinter Gittern, mehr als 1800 Menschen sind nach al-Sisis Machtübernahme durch Polizeikugeln gestorben – die Hälfte allein am 14.August 2013 auf dem Rabaa-Adawiyya-Platz in Kairo, beim schlimmsten Massaker durch Sicherheitskräfte in der modernen Geschichte Ägyptens. Allein im vergangenen Jahr sind nach Zählung von Bürgerrechtlern etwa 100 Menschen in Arrestzellen an Misshandlungen gestorben. Im Gegenzug wächst der Terror. Auf dem Sinai hat sich eine Zweigstelle des Islamischen Staats etabliert. Nahezu 600 Soldaten und Polizisten sind durch Attentäter ums Leben gekommen.

Hier in Alexandria, nicht auf dem weltberühmten Tahrir-Platz in Kairo, begann das Ende von Hosni Mubarak, sieben Monate vor dem eigentlichen Sturz des Langzeitpharaos im Februar 2011. Damals, am 6.Juni 2010, prügelten zwei Polizisten den Blogger Khaled Saeed zu Tode. Fotos der übel zugerichteten Leiche zirkulierten tags darauf im Internet. „Wir sind alle Khaled Saeed“ nannte von Dubai aus der ägyptische Computerspezialist und Google-Werbechef, Wael Ghonim, seine neue Facebook-Protestseite. Hier postete Ghonim für den 25.Jänner 2011 seinen ersten Demonstrationsaufruf, das war der Cyber-Zündfunke für den Arabischen Frühling in Ägypten.

Heute lebt Wael Ghonim in Abu Dhabi, von Eiferern des al-Sisi-Regimefernsehens als Vaterlandsverräter denunziert. Meinungsführer wie Ahmed Maher, Alaa Abd el-Fatah und Ahmed Douma sitzen im Gefängnis, während ihre jungen Mitstreiter in Scharen Ägypten verlassen.

„Wir haben naiv geglaubt, wir sind die Sieger und haben jetzt die Oberhand“, erinnert Mahienour El-Massry an die Euphorie der ersten postrevolutionären Monate. „Heute müssen wir ganz neu nachdenken – es wird nicht reichen, einfach weiterzudemonstrieren“, fügt sie ohne Bitterkeit hinzu. Trotzdem glaubt sie an eine zweite Chance für ein freies Ägypten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.01.2015)

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