Geigenwunder in Wien: Die Kühle und die Weiche

Hilary Hahn.
Hilary Hahn.(c) Reuters (Lucy Nicholson)
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Hilary Hahn und Julia Fischer zeigten viel Charakter.

Mit ihrem Image als „Wunderkinder“ haben beide zu kämpfen: Die amerikanische Geigenvirtuosin Hilary Hahn (29) bedient mit ihrem Aussehen und Styling noch immer das „Kindchenschema“. Und auch ihre deutsche Kollegin Julia Fischer (25) gefällt sich offensichtlich in ihrer Rolle als junge Dame. Wie sich das Wiener Publikum in den letzten Tagen aber überzeugen konnte, sind die beiden Ausnahmemusikerinnen musikalisch längst erwachsen, sie übertrumpfen in Sachen musikalischer Reife sogar den Großteil ihrer Musikerkollegen bei Weitem: Hahn gastierte am Donnerstagabend im Wiener Konzerthaus, Fischer am Freitagabend im Musikverein.

Sie haben abgesehen von ihrem Alter und ihrer (Vor-)Geschichte als weltweit bestaunte Wunder auch musikalisch einige Gemeinsamkeiten. Beide sind beispielsweise geschult an Johann Sebastian Bachs Violinsonaten, ihr Stil ist geprägt von der Zeit, in der die „Alte Musik“ in der Violinistenzunft längst Standard war: glasklare Intonation, schlanker Ton. Vibrato wird nur dort eingesetzt, wo es unbedingt notwendig ist.


Transparenz vs. Affekt. In ihrem Musizieren haben Hahn und Fischer allerdings jeweils einen unverwechselbaren Charakter. Hahns Stärke ist die Transparenz ihres Spiels – wie sie die unglaublichsten Sechzehntelläufe und Akkordzerlegungen präzise trifft, wie sauber sie Doppelgriffe zu wohlklingenden Akkorden zusammenfügt, wie pointiert sie mehrstimmige Kontrapunkte ausführt. Nicht einmal im Ansatz versucht sie, mögliche kleine Unsauberkeiten in allzu üppigen Klängen verstecken zu wollen.

Mit diesen Tugenden brillierte Hahn vor allem bei den Sonaten des belgischen Virtuosen Eugène Ysaÿe, deren übergroße Schwierigkeiten sie ohne sichtbare Anstrengungen meisterte. In den Ungarischen Tänzen von Johannes Brahms ließ Hahn – trotz ihrer sonstigen Unterkühltheit – loderndes Feuer aufblitzen; gekrönt wurde der Recital-Abend (in Begleitung der famosen ukrainisch-amerikanischen Pianistin Valentina Lisitsa) von Béla Bartóks Rumänischen Volkstänzen.

Fischers Stärken hingegen sind ganz woanders angesiedelt. Sie präsentiert sich auf der Bühne viel bewegter, ihr Klang ist wärmer, weicher, runder. Und so fand sie – ausgezeichnet unterstützt von der ukrainischen Pianistin Milana Chernyavska – etwa bei Wolfgang Amadeus Mozarts fünfter Mannheimer Violinsonate genau den richtigen Ton. Auch Ludwig van Beethovens Violinsonate op. 30/3 wurde bis ins letzte Detail mit Affekten und Effekten aufgeladen – und wurde so zu bewegter und bewegender Musik. ku

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.03.2009)

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