Ukraine: Einigung auf Waffenruhe ab Sonntag

Harte Verhandlungen: Poroschenko, Lukaschenko und Putin in Minsk
Harte Verhandlungen: Poroschenko, Lukaschenko und Putin in MinskREUTERS
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Nach nächtlichem Verhandlungsmarathon gelang der Durchbruch. Frankreichs Präsident Hollande spricht von umfassender Einigung, Deutschland ist skeptischer. Polen sieht Verantwortung weiter bei Moskau.

Fast die ganze Nacht haben sie verhandelt, die Präsidenten Russlands, der Ukraine, Frankreichs, die deutsche Kanzlerin und die Vertreter der ostukrainischen Separatisten in der weißrussischen Hauptstadt Minsk - doch lange ohne greifbares Resultat, denn offenbar blockierten die Rebellen noch in den Morgenstunden das ansonsten unterschriftsreife Abkommen.

Kurz nach 12.00 Ortszeit verkündete Russlands Präsident Wladimir Putin dann die Einigung auf eine Waffenruhe ab Sonntag, 15. Februar, 0.00 Uhr. Zudem habe man sich auf einen Abzug der schweren Waffen aus dem Konfliktgebiet geeinigt. Im Hinblick auf eine weitergehende politische Lösung des Konflikts sagte Putin, dass die Ukraine Verfassungsreformen implementieren solle, um die Rechte der Menschen in der Ostukraine zu gewährleisten. Gleichzeitig habe man die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine bekräftigt.

"Schlüssel zur Lösung des Konflikts in Moskau"

Polens Präsident Bronislaw Komorowski zeigte sich über das Ergebnis der Verhandlungen erfreut. Er stellte aber klar, dass man Moskau weiterhin in die Pflicht nehmen müsse. Die Verantwortung für die Beendigung des Ukraine-Konflikts liege vor allem bei Russland: "Es geht darum, nicht den Eindruck zu erwecken, dass (eine Lösung) in den Händen des ukrainischen Präsidenten oder der Ukraine liegt. Der Schlüssel zur Lösung des Konflikts im politischen und militärischen Sinne befindet sich in Moskau."

OSZE will Abkommen überwachen

Die Ukraine-Beobachtermission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) begrüßte die Einigung auf eine Waffenruhe. „Wir hoffen, dies wird den Menschen der Ostukraine Ruhe bringen“, kommentierte der stellvertretende Leiter Alexander Hug im Kurznachrichtendienst Twitter. Die OSZE sei bereit, die Umsetzung des Minsker Abkommens zu überwachen.

Die Ukraine, Russland, Deutschland und Frankreich wollen ein Aufsichtsgremium einsetzen, um die Umsetzung des Minsker Waffenstillstandsabkommens vom September zu kontrollieren. Das geht aus der von den Staats- und Regierungschefs der vier Länder verabschiedeten Erklärung hervor, die am Donnerstag nach ihrem Gipfeltreffen in Minsk veröffentlicht wurde.

Steinmeier widerspricht Hollande

"Wir haben eine umfassende Vereinbarung über eine Waffenruhe und eine politische Lösung erzielt", sagte Frankreichs Präsident Francois Hollande. Ähnlich äußerte sich auch Putin: "Wir haben es geschafft, uns in den wesentlichen Punkten zu einigen." Hollande meinte allerdings, es gebe noch viel zu tun, das Abkommen von Minsk sei allerdings eine Chance, die Situation zu verbessern, dämpfte er die Erwartungen sogleich wieder. 

Regelrecht pessimistisch äußerte sich Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier, der keine Euphorie aufkommen lassen wollte und Hollande sogar offen widersprach: "Die heutige Vereinbarung ist keine umfassende Lösung und schon gar kein Durchbruch", sagte Steinmeier, der ebenfalls in Minsk anwesend war. "Aber Minsk II könnte nach Wochen der Gewalt ein Schritt sein, der uns von einer militärischen Eskalationsspirale weg und hin zu politischem Momentum führen könnte."

Putin setzte Rebellen unter Druck

Wichtig sind unter anderem zwei Punkte: Offenbar gibt es erstmals "klare zeitliche Vorgaben" für die Vereinbarungen der Minsker Verpflichtungen, wie Steinmeier erklärte, und explizit die Punkte Wahlen, Grenzkontrolle und Gefangenenaustausch anführte. Zweitens haben, wie Hollande betonte, auch die zunächst zögerlichen Führer der Rebellen aus den sogenannten "Volksrepubliken" Donezk und Luhansk die Vereinbarung unterschrieben. Das allerdings haben sie beim ersten Minsker Abkommen im vergangenen September auch getan, nur um später zu verkünden, ihre Unterschrift bedeute lediglich, dass sie den Text zur Kenntnis genommen hätten.

Kanzlerin Angela Merkel drückte sich auch sehr vorsichtig aus und sprach nur von einem "Hoffnungsschimmer", dem Blutvergießen ein Ende bereiten zu können: Gegen Ende der Verhandlungen habe Russlands Präsident Putin die Separtisten "unter Druck gesetzt, damit auch sie dem Waffenstillstand zustimmen." Trotz der Hoffnung, die es nun für die Ukraine und für Europa gebe, habe man keine Illusion: "Es ist noch sehr sehr viel Arbeit notwendig."

Die Staats- und Regierungschef, die Rebellen hatten  nach einer kurzen Verhandlungspause in der Früh noch mehrere Stunden gerungen, bis die Rebellen offenbar doch noch einlenkten. Die Separatisten würden, so hatte es zunächst aus Verhandlungskreisen geheißen, den Rückzug der ukrainischen Truppen vom seit Tagen heftig umkämpften EisenbahnKnotenpunkt Debalzewe fordern, was ihnen einen massiven Vorteil bringen würde. Dies ist für die Ukraine inakzeptabel.

Poroschenko: "Gesamte Grenze kontrollieren"

Über die sogenannte Kontaktgruppe ist auch die OSZE in die Verhandlungen involviert, ihr kommt besonders im Hinblick auf die Überwachung eines möglichen Abkommens eine Schlüsselrolle zu. Laut dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko hat die gesamte Kontaktgruppe das Dokument unterzeichnet.

West-westliche Annäherung: Merkel und Hollande in Minsk
West-westliche Annäherung: Merkel und Hollande in MinskREUTERS

Poroschenko hatte zunächst die Hoffnungen auf eine baldige Einigung bei den Minsker Verhandlungen gedämpft. Russland stelle einige "inakzeptable Bedingungen", sagte Poroschenko der Nachrichtenagentur AFP in der weißrussischen Hauptstadt am Donnerstagmorgen. Nach der erzielten Einigung sagte er, die Ukraine solllte nun bis Jahresende die Kontrolle über ihre gesamte Grenze wiedererlangen. Derzeit sind ja weite Teile der ukrainsiche-russischen Grenze unter Kontrolle der Rebellen, die so ungehindert Nachschub an Bewaffneten und an Rüstungsgütern aus Russland erhalten können.

Höchste Zeit für einen Waffenstillstand: Poroschenko in Minsk
Höchste Zeit für einen Waffenstillstand: Poroschenko in MinskAPA/EPA/TATYANA ZENKOVICH / POOL

Nach ersten positiven Anzeichen waren die Gespräche in der Nacht wieder ins Stocken geraten. Nachdem die russische Seite am Abend Zuversicht verbreitet hatte, verlautete weit nach Mitternacht aus Kreisen der anderen Delegationen, Kremlchef Wladimir Putin stelle sich quer. Zuvor hatte es aus Diplomatenkreisen geheißen, bei den stundenlangen Verhandlungen seien "Fortschritte" erzielt worden.

"Schlafen ist jetzt für Schwächlinge"

Nachdem die russische Nachrichtenagentur Ria zunächst gemeldet hatte, die Gipfelgespräche seien beendet, erklärte das russische Präsidialamt, das Gipfeltreffen gehe weiter. Bereits Mittwochabend war aus ukrainischen Verhandlerkreisen erstmals über eine Einigung berichtet worden, verfrüht, wie sich bald herausstellte.

Gegen 3.00 Uhr früh teilte Waleri Tschaly aus Poroschenkos Präsidialverwaltung mit, die Gespräche könnten noch "mindestens fünf oder sechs Stunden" dauern. Ohne wenigsten eine Einigung auf eine Feuerpause könne man den Konferenzort nicht verlassen. Daher werde gerade "ein Nervenkrieg" geführt, twitterte Tschaly. "Schlafen ist jetzt für Schwächlinge", fügte er hinzu.

Das Treffen galt als bisher wichtigster Vorstoß zur Beendigung des seit zehn Monaten dauernden Konflikts, bei dem im Donbass mehr als 5400 Menschen getötet wurden. Überschattet wurden die Verhandlungen in Minsk von neuer Gewalt in der Ostukraine. Beim Beschuss eines Krankenhauses in der Separatistenhochburg Donezk sei mindestens ein Mensch getötet worden, berichteten örtliche Medien. Acht Zivilisten wurden demnach verletzt. Die Klinik stehe in Flammen, hieß es. Poroschenko drohte trotz der Diplomatie-Bemühungen auf höchster Ebene mit Verhängung des Kriegsrechts, sollten die Gespräche scheitern.

Dies scheint nun vorerst abgewendet, allerdings dürften die Kämpfe bis Sonntag noch mit unverminderter Härte weitergehen und sich vielleicht sogar noch intensivieren, weil jede Seite versuchen wird, sich noch eine gute Ausgangsposition zu verschaffen. Diese Befürchtung teilte auch der ehemalige schwedische Außenminister Carl Bildt:

(APA/Reuters/AFP/hd)

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