Seismografen des Alltags

Im freien Fall: Bernhard Strobel kappt seinen Protagonisten den Faden der Normalität.

Erzählungen sind Stiefkinder der Verlage, sie werden ungern angenommen und halbherzig beworben, manchmal ist der Erzählband eine Belohnung für Autoren, die zuvor einen Roman abgeliefert haben, der sich gut verkauft hat. Bernhard Strobel kümmert das nicht, er verweigert den Roman. Die Erzählung ist, laut eigenen Aussagen, sein bevorzugtes Metier, in dem er sich gekonnt bewegt.

Das neue Buch, „Ein dünner Faden“, versammelt neun Texte, die in der Übergangszone zwischen Land und Stadt spielen. Der sogenannte Speckgürtel mit seinen Fertigteilhäusern und monotonen Gartenzonen ist Schauplatz von Minidramen zwischen Mann und Frau, die bestürzend zeitlos und weltumspannend scheinen. Sie könnten genauso gut in den Fünfziger- oder Sechzigerjahren angesiedelt sein, in der mittleren Mittelschicht ausgedehnter Provinzstädte der USA genauso wie in den trostlosen Landschaften rund um die Einkaufszentren Europas. Vielleicht kommt das daher, weil sich der 33-jährige Autor einem 50-Jährigen näher fühlt als einem 17-Jährigen – „typisch jugendlich war ich nie“, sagte er einst in einem Interview – und am liebsten nur über 70-Jährige schreiben würde, das aberals Anmaßung empfände.

Die meist männlichen Erzählstimmenzeichnen wie Seismografen jede zwischenmenschliche Bewegung, die ständigen gegenseitigen Belauerungen, alle Absurditäten in den Beziehungsalltagen auf, die laut ungeschriebenen Literaturgesetzen zur Hölle werden müssen. Diesen Höllen entkommt man beispielsweise durch das In-Szene-Setzen einer anderen, aushäusigen Hölle: das Anzündeneines Heustadels. Das Tragische jedoch aus der Sicht des Brandstifters: Die Partnerin würde einem das niemals zutrauen. „Aber irgendwas traust du mir doch zu?“, so die bange Frage des Zündlers am Ende von „Alles ist bestens“. Auf eine Antwort wartet er vergeblich. Man muss befürchten, dass er zu drastischeren Mitteln greifen wird, der dünne Faden der Normalität ist längst gerissen.

Verpasste Gelegenheiten

In einer anderen Geschichte, „Leider, leider“, sitzen ein Mann und eine Frau nebeneinander an ihrer jeweiligen Seite des Gartenzaunes. Die Frau ist „neu“, man weiß nicht, passt sie auf das Haus auf, in dem vor Kurzem eine alte Dame gestorben ist, oder will sie es kaufen? Die beidentrinken Wein, reichen sich die Flasche durch den Zaun. Sie verbringen einen schönen, etwas melancholischen Abend miteinander, irgendwann gehen sie in ihreHäuser zurück, denn „eine Begegnung, von der man wünscht, es möge keine einmalige sein, solle man nicht allzu sehr in die Länge ziehen“, so die strategischen Überlegungen des Mannes.

Jedoch gibt es keine zweite Begegnung, der Ich-Erzähler bleibt allein, und seine Vorstellung, am Abend, nach der Gutenachtgeschichte, am Bettrand zu sitzen und dem müden Nachwuchs die Geschichte, wie Mutter und Vater sich kennengelernt haben, zu erzählen, bleibt traurige Imagination. Das Haus, gedacht als behagliche Wohnstätte für eine Familie, mit dem kleinen Gemüsegarten für die kindgerechte Ernährung, ist still und leer und viel zu groß.

Bernhard Strobels schnörkellose und lakonische Sprache lässt viel Raum für das, was zwischen den Zeilen steht. Allein die Worte „Kellerdiskothek“ und „Melodie eines Glücksspielautomaten“ evozieren ein kleines Universum, das vermutlich jeder Leser – ob gern oder ungern sei dahingestellt – im Kopf mit sich trägt. ■

Bernhard Strobel

Ein dünner Faden

Erzählungen. 152S., geb., €19 (Droschl Verlag, Graz)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.02.2015)

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