Mercedes S-Klasse: Fehlt uns nur noch der Chauffeur

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
  • Drucken

Allrad und Massage in Langversion: Vieles ist möglich an Bord der S-Klasse, und vielleicht ist nicht alles notwendig. Doch das Mercedes-Flaggschiff hat einen Ruf zu verteidigen.

Alles, was an Radstand den drei Metern nahekommt, ist im Autobau als opulent zu bezeichnen, darüber handelt es sich meist um Lieferwagen. Nicht so bei der Mercedes-S-Klasse, die sich in Langversion auf exakt 3165 Millimeter zwischen beiden Achsen erstreckt (Gesamtlänge: über 5,2 Meter). Was stellt man an mit dieser Größe an beweglichem Wohnraum?

Der Hersteller mag mit der A-Klasse und ihren vielen Derivaten das Volk suchen, zumindest die aufstiegswillige Fraktion, aber das Herz der Marke schlägt doch für die S-Klasse, das Flaggschiff, seit gut vier Jahrzehnten die Benchmark unter den Luxuslimousinen. So muss alle paar Jahre, mit jeder neuen Generation, das Rad, zumindest aber das Automobil, ein bisschen neu erfunden werden.

Drinks aus der Bordbar

Eine Aufgabe, die offenbar auch zur Materialschlacht ausarten kann. So war das Einzige, was in unserem S350 Bluetec 4Matic „lang“ an Luxus und Komfort zu fehlen schien, ein Chauffeur, der uns die Fahrten auf dem logischen Sitzplatz ermöglicht hätte: im Fond rechts, dem Chefsessel mit Liegefunktion.

Gern hätten wir dort auf ausgedehnten Fahrten das Haupt ins besonders weiche Leder der Kopfstützen gebettet, dann und wann aus der Bordbar zwischen den Sitzen nachgeschenkt und dabei über alles Mögliche sinniert oder auch nur die Zerstreuung im Bord-Entertainment gesucht, das mit HD-Bildschirmen im Fond und dem Sound der Berliner Hi-Fi-Manufaktur Burmester den Minikonzertsaal oder eine Art Autokino abgibt.

Jedoch übernahmen wir selbst den Dienst an Lenkrad und Pedalen. Glücklicherweise hat auch der Platz am Fahrersitz einigen Unterhaltungswert. In der Verarbeitung und der Liebe zu Details konkurriert die S-Klasse mit Manufakturen wie Bentley. Fahren wirkt oft wie eine beiläufige Tätigkeit in diesem Auto. Spannender ist zuweilen, was sich auf den beiden jeweils 12,3 Zoll großen Bildschirmen tut – der eine imitiert die klassische Instrumententafel mit der Einspielung von Tacho und Drehzahlmesser, der andere führt in das weitverzweigte Bordsystem.

Dort wird zu jedem Menüpunkt eine kurze Animation vorgeführt, wir sehen zum Beispiel das Auto heranrollen und die Türen öffnen, oder wo überall Heizelemente an Bord versteckt sind – wie ein Handbuch, das die jeweilige Funktion bildlich vorführt. Allein das Kapitel Sitze! Nur einstellen, damit man ordentlich sitzt, und nichts zwickt? Nicht in der S-Klasse, hier können wir neben Heizen und Belüften auch die Seitenpolster bei Kurvenfahrt entgegen der Fliehkraft aufblähen oder ein Dutzend Massageprogramme abrufen: 14 Luftpölster simulieren die Hände des Kneterichs, vier davon werden sogar heiß für den wohligen Hot-Stone-Effekt.

Will man bloß warme oder kalte Luft ausströmen lassen, sitzt man ebenfalls im falschen Auto. Hier wird ionisiert oder mit Düften (der Flakon im Handschuhfach eingespannt) Wohlgeruch an Bord verbreitet. Einfach nur fahren? Man könnte zu viele der Möglichkeiten ungenutzt lassen. Des Managers Schicksal: Er muss sich seinen Komfort auch im Komfort noch verdienen. Wir erwarten oder hoffen, dass mit der nächsten Generation der S-Klasse wieder eine gewisse Simplifizierung einzieht.

Im analogen Erlebnisbereich gibt sich das Auto erwartungsgemäß keine Blöße. Es war immer die Besonderheit der Baureihe, auch angesichts ihrer Größe und ihres Gewichts spielerisch manövrierbar zu bleiben. Es darf auch durchaus der V6-Diesel im Antrieb sein, Hauptsache, es sind alle vier Räder angetrieben. In den USA und Asien will man von anderem als dem famosen V8 freilich nichts wissen.

In Kurzversion ist die S-Klasse durchaus noch ein Fahrerauto, auch wenn sie sich zunehmend anschickt, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. An die Vorboten des autonomen Fahrens – selbsttätiges Abstand- und Spurhalten – gewöhnt man sich schnell.

MERCEDES S350 BLUETEC 4MATIC

Maße: L/B/H: 5246/2130/1494 mm. Radstand: 3165 mm. Leergewicht: 2045 kg. Kofferraumvolumen: 510 Liter.

Motor: V6-Turbodiesel, 2987 cm3. 190 kW/258 PS bei 3600/min. 620 Nm bei 1600–2400/min. 0–100 km/h in 6,8 sec. Vmax: 250 km/h. 7-Gang-Automatik. Allradantrieb.

Testverbrauch: 9,4 l/100 km.

Preis: ab 103.330 Euro.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.02.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.