John Rabe: „Schon eine Heldengeschichte“

Ulrich Tukur
Ulrich Tukur(c) AP (KAI-UWE KNOTH)
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In der Filmbiografie "John Rabe" spielt Ulrich Tukur einen Nationalsozialisten, der Hunderttausende Chinesen rettete. Ein Gespräch über das sich wandelnde Bild der NS-Ära im Kino.

Die japanischen Bomber greifen Nanking an, die chinesischen Arbeiter im Siemenswerk laufen panisch durcheinander. Da hat Direktor John Rabe (Ulrich Tukur) eine rettende Idee, spannt eine riesige Hakenkreuzfahne über den Chinesen auf. Und die Flagge der deutschen Verbündeten gewährt tatsächlich Schutz vor den Japanern.

Das NS-Symbol als Lebensretter: das Schlüsselbild des Films John Rabevon Florian Gallenberger. Erzählt wird darin eine wahre Geschichte: Der deutsche Rabe, treuer Hitler-Anhänger, war der Siemens-Geschäftsführer in China. Als 1937 im zweiten sinojapanischen Krieg die damalige Hauptstadt Nanjing von Japanern erobert wurde, kämpfte Rabe für die Chinesen: an der Spitze eines internationalen Komitees für die Errichtung einer Schutzzone, während das berüchtigte mehrwöchige Massaker von Nanjing andauerte.


Lebender Buddha. In China wird John Rabe für den Einsatz, der 200.000 Menschen rettete, als „lebender Buddha“ verehrt. In Deutschland wurde er nach der Heimkehr 1938 bald kaltgestellt, 1950 starb er verarmt, vergessen. Erst als Mitte der 90er-Jahre die „Vergewaltigung von Nanjing“ wieder ins Blickfeld der Öffentlichkeit geriet, wurden auch Rabes Tagebücher publiziert und erregten weltweit Aufsehen. Die „New York Times“ titelte: „Der gute Nazi“.

„Das ist natürlich eine schreckliche Formulierung“, meint Rabe-Darsteller Ulrich Tukur. „Aber Rabe ist so eine Figur, die zeigt, wie widersprüchlich, bizarr und überraschend Geschichte ist. Da funktionieren einfache SchwarzWeiß-Kategorien nicht: Einer, der sich selbst als Nationalsozialisten bezeichnet, ein treuer Führeranhänger – aber er ist das genaue Gegenteil eines Nationalsozialisten in dem, was er macht.“

Ursprünglich hätte der verstorbene Ulrich Mühe die Rolle spielen sollen, doch wegen seiner Krebskrankheit war der anstrengende Chinadreh unmöglich. Dem Freund Tukur gab er den Part „mit dem bewegenden Satz: Bleibt von mir wenigstens der Vorname“. Und der Dreh wurde schwierig, das Politbüro opponierte, weil auch ein chinesischer Nanjing-Film entstand – den die Zensur noch immer blockiert. „Der entscheidende Coup war, dass Gallenberger bei einem Essen die Tochter des ehemaligen Geheimdienstchefs kennenlernte“, erzählt Tukur: „Die öffnete uns Tür und Tor, griff immer rettend ein, wenn das Projekt zu scheitern drohte. Dann war die deutsche Produktion mit den Strukturen dort nicht vertraut, so viel Geld versickerte. Wir dachten oft: Jetzt ist es aus!“


Gefahr Schmalzfalle. Auch die historische Figur war für Tukur eine Herausforderung: „Ein typisches Kind der Zeit wächst in einer unerhörten Situation heroisch über sich hinaus. Da schien mir die Schmalzfalle sehr zu drohen. Also betonen wir anfangs das Autoritäre, auch Nationalkonservative und Besserwisserische an Rabe: Er ist ein bisschen unangenehm. So kann man ihn aufbauen, damit er Vielschichtigkeit bekommt. Mir wurde klar, dass ich die Figur schnörkellos spielen muss, grade, ohne jede Sentimentalität. Es ist ja schon auch eine Heldengeschichte – die Welt muss jetzt entscheiden, ob uns die Gratwanderung gelungen ist.“

NS-Rollen hat Tukur im Lauf seiner Karriere oft verkörpert, die Darstellung der Ära im Kino hat sich merklich gewandelt: „Einen Film wie John Rabe hätte man vor zehn, 20 Jahren nicht machen können – und dürfen! 2002 wurden wir zur Berlinale-Premiere von Costa-Gavras' Der Stellvertreter niedergeschrien: Das sei der zweite Verrat am Judentum. Einen ,guten SS-Mann‘ zu zeigen, war da noch nicht möglich. Doch Geschichte ist nun mal so: Hinter den Ideologien stecken Menschen, die können wunderbar sein oder fürchterlich. Aus der bequemen historischen Distanz ist irre schwer zu richten.“

Eben spielte Tukur auch für den Österreicher Michael Glawogger in Das Vaterspiel einen Juden: „Auf den Film bin ich gespannt, das Drehbuch habe ich ja nicht verstanden – so kompliziert und zerrissen. Aber eine super Arbeit! Ich hatte so viel Text in Monologen, da sagte ich gleich: Das lerne ich nicht, das kann ich nicht. Und versuchte dann, aus der Erinnerung nachzuerzählen, das ist immer ganz gut. Es wirkt echt, wenn der Schauspieler nach Fakten sucht: Das sieht so aus, wie wenn einer wirklich nachdenkt!“, lacht Tukur.


Kompromissloser Haneke. Auch die wiederholte Arbeit mit Michael Haneke am Film Das weiße Band war ein Vergnügen: „Haneke ist ja der Einzige, der noch ganz kompromisslos ist, sich einen Scheißdreck um den Geschmack irgendwelcher Kultur- oder TV-Redakteure und Geldgeber kümmert. Ein Schwarz-Weiß-Film über ein brandenburgisches Dorf vor dem ersten Weltkrieg, was für ein Ambiente! Und welche Menschen Haneke da besetzt hat.“ Tukur imitiert den Regisseur: „Die ham ja keine Gesichter mehr, die Bauern hier. Hör'n Popmusik in klimatisierten Traktoren, die schaun schrecklich aus!“ Also habe Haneke „lauter Kleinbauern aus den Karpaten und Polen hergekarrt, die sahen aus, als hätte man sie 1912 auf Glasplatte gebannt. Der Film wird wie 'ne lebendig gewordene Postkarte aus der Kaiserzeit.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.04.2009)

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