Studie: Jeder Dritte fühlt sich überfordert

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Viele Beschäftigte klagen über den erhöhten Stress am Arbeitsplatz. Statt neuer Gesetze empfiehlt die Bertelsmann-Stiftung firmeninterne Lösungen wie Regeln für den E-Mail-Verkehr.

Berlin. Die Bertelsmann-Stiftung gehört zu den renommiertesten Denkfabriken in Deutschland. Am Montag hat sie eine Studie zum Thema „Stress in der Arbeitswelt“ veröffentlicht. Denn in Deutschland gibt es eine Diskussion über ein neues Gesetz mit rechtlich verbindlichen Regelungen zur Vermeidung von psychischen Belastungen am Arbeitsplatz. Vor allem die deutsche Arbeitsministerin, Andrea Nahles (SPD), hat sich dafür ausgesprochen. Doch die Firmen laufen dagegen Sturm. Sie befürchten zusätzliche bürokratische Hürden. Im Gegensatz zur SPD lehnt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) eine Antistressverordnung ab.

Die Bertelsmann-Studie hat nun einen „Gesundheitsmonitor“ vorgelegt. Dazu wurden 1000 Erwerbstätige befragt. Herausgekommen ist, dass zuletzt 22 Prozent der Beschäftigten oft ohne Pausen durchgearbeitet haben. Elf Prozent haben auch in ihrer Freizeit (Urlaub, Wochenende) gearbeitet. „Jeder Dritte weiß nicht mehr, wie er die wachsenden Ansprüche im Betrieb bewältigen soll“, heißt es in der Studie. Dadurch komme es leicht zu einer Überforderung.

14 Prozent der Befragten seien oft bis sehr oft trotz Krankheit am Arbeitsplatz erschienen. Zudem gaben knapp sechs Prozent an, oft Genussmittel oder Substanzen (Alkohol, Koffein, Nikotin oder Medikamente) zu konsumieren, um bei der Arbeit leistungsfähiger zu sein. Knapp fünf Prozent nehmen oft solche Substanzen, um nach der Arbeit besser abschalten zu können. Die Bertelsmann-Stiftung hat nur Beschäftigte in Deutschland befragt. Es ist aber davon auszugehen, dass in Österreich die Situation ähnlich ist.

Auch hierzulande gibt es eine Debatte über den zunehmenden Stress am Arbeitsplatz. Seit Anfang 2013 sind alle österreichischen Unternehmen gesetzlich verpflichtet, Maßnahmen zur Verhinderung von psychischen Erkrankungen vorzunehmen. Doch eine Umfrage der Arbeiterkammer zeigte vor Kurzem auf, dass die Wirtschaft das Gesetz ignoriert. Nur 21 Prozent der Unternehmen haben die vorgeschriebene Evaluierung psychischer Stressfaktoren am Arbeitsplatz bislang durchgeführt. Die Arbeiterkammer fordert nun strengere Kontrollen durch das Arbeitsinspektorat.

Was schlägt die Bertelsmann-Stiftung zur Lösung des Problems vor? „Wir brauchen in erster Linie keine neue Rechtsvorschriften“, heißt es der Studie. Es gehe vielmehr darum, „Leistungsgrenzen – eigene und fremde – wahrzunehmen, zu kommunizieren und durchzusetzen.“ Dazu müsse in Unternehmen ein Bewusstsein für Grenzen von Leistungen entwickelt werden. Auch sollten Führungskräfte und Beschäftigte gemeinsam realistische Ziele für die Arbeit setzen. Zur Umsetzung werden unter anderem konkrete Maßnahmen empfohlen, wie Regelungen für den E-Mail-Verkehr.

Keine E-Mails im Urlaub

Der deutsche Volkswagen-Konzern lässt beispielsweise seine Mitarbeiter in der Freizeit in Ruhe. Eine halbe Stunde nach Dienstschluss wird die Weiterleitung vom E-Mail-Server auf die Diensthandys der Beschäftigten abgeschaltet. Eine halbe Stunde vor Arbeitsbeginn am nächsten Tag werden die Server wieder eingeschaltet.

Bei Daimler gibt es die Funktion „Mail on Holiday“. Die Mitarbeiter können E-Mails, die während ihres Urlaubs eingehen, automatisch löschen lassen. Gleichzeitig weist eine an den Absender zurückgeschickte Notiz auf den zuständigen Stellvertreter hin, sodass dieser kontaktiert und damit jedes Anliegen trotzdem schnell bearbeitet werden kann. „Es entsteht kein Stau im elektronischen Postfach. Das ist eine emotionale Entlastung“, heißt es bei Daimler. Die Erfahrungen und Ergebnisse seien bei Mitarbeitern, aber auch bei Kunden, Lieferanten oder sonstigen Kontakten positiv gewesen.

Auch viele französische Firmen haben Regelungen für den E-Mail-Verkehr. Dies hängt unter anderem mit einer Suizidserie bei France Telecom zusammen. In den Abschiedsbriefen beklagten die Mitarbeiter sich über den Stress und die Angst in der Arbeit.

In Österreich betonen viele Firmen zwar, dass nach Dienstschluss keine E-Mails beantwortet werden müssen, doch klare Regelungen fehlen meist.
Dabei können verbindliche Vereinbarungen (wie das Nichtweiterleiten von E-Mails auf das Diensthandy in der Freizeit) sinnvoll sein, weil so mancher Mitarbeiter den eigenen Umgang mit Grenzen nicht immer kennt und zu wenig reflektiert.

Auch die Bertelsmann-Studie kommt zu dem Ergebnis, dass ein Großteil der Beschäftigten ihre Arbeit selbst planen und einteilen kann. Diese Flexibilität verleite manche Mitarbeiter dazu, „mehr zu arbeiten, als ihnen guttut“.

Auf einen Blick

Die deutsche Bertelsmann-Stiftung hat eine Studie zum Thema „Stress in der Arbeitswelt“ veröffentlicht. Dazu wurden knapp 1000 Erwerbstätige befragt.

Herausgekommen ist, dass zuletzt 22 Prozent der Beschäftigten oft ohne Pausen durchgearbeitet haben. 14 Prozent der Befragten sind oft bis sehr oft trotz Krankheit am Arbeitsplatz erschienen. Jeder Dritte ist überfordert und weiß nicht, wie er die wachsenden Ansprüche im Betrieb bewältigen kann. Die Bertelsmann-Stiftung verlangt aber keine neuen Gesetze, sondern firmeninterne Regelungen wie für die Weiterleitung von E-Mails im Urlaub.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.03.2015)

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