Shaun: Plastilinschafe in der Stadt!

Shaun das Schaf
Shaun das Schaf(c) Constantin
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Jede einzelne glubschäugige Knetgummifigur hat Persönlichkeit, da braucht es gar keine Dialoge: „Shaun das Schaf“ funktioniert auch in Spielfilmlänge bestens.

In Zeiten austauschbar wirkender, beliebig manipulierbarer digitaler Oberflächen entwickelt das Handgearbeitete eine besondere Aura. Da kann es schon passieren, dass man beim Entdecken eines Fingerabdrucks auf einer Knetgummifigur ein wohliges Kribbeln im Bauch spürt. Dass da jemand stundenlang, womöglich tagelang an der perfekten Formung eines amorphen Plastilinhäufchens in eine ausdrucksstarke Kreatur gearbeitet hat, berührt und begeistert.

Im Fall von „Shaun das Schaf – Der Film“ ist es das Autoren- und Regieduo Richard Starzak und Mark Burton. Beide sind alte Hasen der Stop-Motion-Animation: Jede Filmsekunde besteht aus 24 Bildern. Und für jedes einzelne davon verändern Dutzende Mitarbeiter die Knetgummiwelt bis ins mikroskopischste Detail hinein. Hintereinander abgespielt entsteht so, wie bei jedem Film, die Illusion einer fortlaufenden Bewegung. Und so kommt auch der Fingerabdruck auf Shauns Kopf. Das Durchschnittsschaf lebt auf einem Bauernhof. Auf einem penetrant idyllischen Bauernhof, auf dem an jedem Tag in der Woche exakt dasselbe passiert. Shaun will dem Trott entfliehen, verursacht dabei aber einen Unfall, bei dem der Bauer sein Gedächtnis verliert. Während er im Krankenhaus liegt, versinkt der Hof in Anarchie: Die fiesen Schweine verwüsten das Haus, und die Schafherde hat keine andere Wahl, als selbst in die Stadt zu reisen und den Bauern zu finden.

Hinter „Shaun das Schaf“ stehen die britischen Aardman Studios, Marktführer im Bereich der familienfreundlichen, hintersinnigen Knetgummi-Animation und spätestens seit „Wallace & Gromit“ weltbekannt. Den Erfahrungsschatz, den sich das Kreativteam dort über Jahrzehnte hart erknetet hat, merkt man auch ihrem jüngsten Wurf an. Jede einzelne glubschäugige Figur hat Persönlichkeit, ist bis in die kleinsten Bewegungsabläufe durchdacht und durchgearbeitet.

Vorwissen aus der TV-Serie

Die Animatoren konnten dafür auf das Vorwissen zurückgreifen, das sich bei der Arbeit an den 130 Folgen der „Shaun das Schaf“-TV-Serie angesammelt hat. Das Format war allerdings nie, wie etwa „Wallace & Gromit“, als abgerundete Erzählung angelegt, sondern kredenzte in sieben Minuten eine Abfolge von Slapstick-Routinen, bei denen sich die erwähnten gemeinen Hausschweine sowie ein nicht näher benanntes, fettleibiges Schaf in entsprechender Kugelrundform als ergiebigste Lachnummern hervortaten. Schade, dass diese Figuren im Kino keine nennenswerten Rollen einnehmen.

Dafür schaffen es Starzak und Burton problemlos, die Welt von „Shaun das Schaf“ so auszubauen, dass sie auch in Spielfilmlänge funktioniert – sogar unter Beibehaltung des hervorstechendsten Merkmals der Fernsehserie: Es wird kein einziges Wort gesprochen. Das Fehlen von Dialogen empfindet man nicht als Fehlen, da die Figuren so ausdrucksstark gestikulieren und mimisch entgleisen, dass damit alles schon gesagt ist.

Die Stadt entpuppt sich für Shaun und seine Herde im Übrigen als eher lebensfeindliches Terrain, angefüllt mit rasenden Autos und sonstigen Todesfallen, belebt von grausamen Charakteren wie jenem Tierfänger, der hinter den Landeiern her ist. Während der erinnerungslose Bauer aufgrund seiner Expertise im Schafescheren zum Hipster-Starfriseur avanciert, wünscht sich Shaun ins langweilige Landidyll zurück. Nur im verkannten Meisterwerk „Schweinchen Babe in der großen Stadt“ wurde der Metropolenmoloch noch radikaler zugeschnitten. Die Blumen und Bienen auf den grünen Wiesen der Heimat bewirken beim vorlauten Schaf Shaun am Ende in etwa dasselbe Gefühl wie der Fingerabdruck auf seinem Schädel beim Zuschauer: ein wohliges Kribbeln im Bauch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.03.2015)

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