Hrdlicka-Denkmal: Wenn das, was fehlt, doch immer da ist

Wolfgang Freitag
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Wie viel vermag uns eine Lücke über das zu erzählen, was sie uns vorenthält?

Ist es die Leerstelle, die womöglich klarer fasst, was das komplettierte Bild doch niemals fassen könnte? Seit Ende der 1980er steht auf dem Platz vor der Albertina Alfred Hrdlickas Mahnmal gegen Krieg und Faschismus. Vor, während und unmittelbar nach der Errichtung hat es vielerseits Anstoß erregt; die einen hätten sich für Erinnerungsarbeit in so quälender Sache einen weniger prominenten Platz gewünscht, anderen wiederum schien Hrdlickas Annäherung nicht quälend genug.

Immer wieder im Mittelpunkt der Debatten: die Figur des straßenwaschenden Juden, der da einsam auf dem Pflaster kauert. „Nach dem ,Anschluss‘ Österreichs an Nazi-Deutschland wurden Jüdinnen und Juden gezwungen, die Straßen von Parolen zu säubern“, erläutert dazu eine Tafel am Denkmalsort. „Der straßenwaschende Jude aus Bronze erinnert an diese Entwürdigung und Erniedrigung.“ Und Alfred Hrdlicka selbst hat angemerkt, diese Figur sei für ihn „das Symbol des Ausgeliefertseins“: „Der straßenwaschende Jude soll die Wiener an das erinnern, was sie selbst einst angestellt haben.“

Die Dokumentarfilmerin Ruth Beckermann hat sich schon früh gefragt, wo in dieser Darstellung genau jene seien, die da die Juden entwürdigten und erniedrigten: die „lachenden Zuschauer“ nämlich. Und sie hat sie dieser Tage nachgeliefert: Mit ihrer temporären Installation „The Missing Image“ hat sie Hrdlickas Bronzefigur das einzige erhalten gebliebene Filmdokument einer solchen „Reibpartie“ zur Seite gestellt.

Für mich freilich waren diese Zuschauer immer da: in mir und all den anderen, die in den vergangenen bald drei Jahrzehnten Hrdlickas Denkmal umstanden und darüber nachdenken durften: Was hätte ich damals getan? Der straßenwaschende Jude hat mich etwas gefragt. Ruth Beckermann gibt mir jetzt eine Antwort, die meine Gegenwart an Vergangenes verweist – und mich selber sehr viel weniger betrifft, als ihr lieb sein kann.

E-Mails an:wolfgang.freitag@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.03.2015)

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