Ungarn: Ausschreitungen vor Wahl des neuen Premiers

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Der neue und der "alte" Premier von Ungarn: Gordon Bajnai und Ferenc Gyurcsany (c) EPA (Attila Kovacs)
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Die Polizei befand sich nach einem Aufruf zu Massen-Demonstrationen in Budapest im Großeinsatz. Die Demonstranten fordern Neuwahlen. Gyurcsany hielt seine letzte Rede als Premier.

Der Tag der Wahl eines neuen Regierungschefs in Ungarn ist am Dienstag von Protesten überschattet gewesen. Das "Forum Ziviler Zusammenschluss" hatte zu Massendemonstrationen auf dem Budapester Kossuth-Platz vor dem Parlament aufgerufen. Die Polizei war im Großeinsatz, das Territorium um das Parlamentsgebäude wurde weiträumig abgesperrt.

Der Protest richtete sich gegen den konstruktiven Misstrauensantrag gegen den sozialistischen Premier Ferenc Gyurcsany und die Wahl seines Nachfolgers in der Person des parteilosen Wirtschaftsministers Gordon Bajnai. Die Abstimmung im Parlament wurde für den späten Nachmittag erwartet.

Neuer Premier Vertrauter Gyurcsanys

Bajnai gilt als Vertrauensmann Gyurcsanys. Der bisherige Regierungschef wollte mit dem Misstrauensvotum vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise einen Regierungswechsel ohne Neuwahlen erreichen. Nach Umfragen droht der regierenden Sozialistischen Partei (MSZP) nämlich ein Debakel. Die rechtskonservative Opposition verlangt vorgezogene Wahlen.

"Ins Gefängnis, ins Gefängnis!"

Die Demonstranten des "Forums Ziviler Zusammenschluss" forderten bei ihrer Kundgebung in der Nähe des Parlaments die Abgeordneten auf, die Wahl Bajnais als Regierungschef nicht zu unterstützen. Sie baten zudem Staatspräsident Laszlo Solyom darum, vorgezogene Neuwahlen auszuschreiben. Die nach Angaben der Nachrichtenagentur MTI skandierten die rund 5.000 Regierungsgegner zeitweilig Slogans wie: "Ins Gefängnis, ins Gefängnis!" oder "Nieder mit der Regierung!" Vertreter der rechtsextremen "Ungarischen Garde" ließen als Akt des Protests 60 lebende Gänse auf dem Kossuth-Platz vor dem Parlament frei. Die Proteste blieben vorerst friedlich.

Gyurcsany hielt am Dienstag im Budapester Parlament seine letzte Rede als ungarischer Premier. Dabei erklärte er, dass das größte Problem des Landes nicht in den Herausforderungen der Wirtschaftskrise bestehe, denn mit diesen "wird das Land fertig". Das "wahre Problem" bestehe in der "Spaltung" der politischen Gemeinschaft. Als Aufgabe der neuen Regierung bezeichnete Gyurcsany das Krisenmanagement, das der ungarischen Wirtschaft neuen Schwung verleihen soll.

"Keine politischen, sondern fachliche Ambitionen"

Bajnai erklärte vor den Abgeordneten, mit dem konstruktiven Misstrauensantrag werde die parlamentarische Mehrheit einen Schlusspunkt hinter die politische Krise setzen. Nur so könne "die wirtschaftliche und soziale Krise beherrscht werden". Der designierte Premier betonte, er wolle arbeiten und nicht politisieren. Dabei habe die neue Krisen-Regierung "keine politischen, sondern fachliche Ambitionen".

Neuer Außenminister wird der ehemalige EU-Kommissar Peter Balazs, während Verkehrsminister Csaba Molnar als Kanzleiminister Peter Kiss ablöst. Das langjährige Regierungsmitglied und führende MSZP-Politiker Kiss wird Minister ohne Portefeuille für Sozialpolitik und damit nach Molnar der zweite Stellvertreter des Premiers. Neuer Verkehrsminister wird Peter Honig, stellvertretender Generaldirektor der Budapester Kraftwerk-AG.

Neuer Finanzminister wird der Steuerexperte und Geschäftsführer der Unternehmensberatung Deloitte, Peter Oszko. Tamas Vahl, Präsident der Deutsch-Ungarischen Industrie- und Handelskammer, wiederum soll als Wirtschaftsminister die Nachfolge des neuen Premiers Bajnai antreten.

Einen Wechsel gibt es an der Spitze des Sozial- und Arbeitsministeriums, wobei Erika Szücs durch Staatssekretär Laszlo Herczog abgelöst wird. Neuer Minister für Gemeinden und Regionen wird Zoltan Varga, Vorsitzender des Regionalen Entwicklungsrates Südungarn. Neuer Minister ohne Portefeuille für zivile Sicherheitsdienste wird der erst 29-jährige Adam Ficsor, ehemaliger Kabinettschef des Ministerpräsidenten.

Bajnais Kabinett komplett

Verteidigungsminister Imre Szekeres, Umweltminister Imre Szabo, Unterrichtsminister Istvan Hiller, Justizminister Tibor Draskovics und Agrarminister Jozsef Graf bleiben weiter in der Regierung, ebenso wie Gesundheitsminister Tamas Szekely. Bajnai hatte die Liste seiner Kabinettsmitglieder am Dienstagvormittag sowohl dem Vorstand der MSZP als auch des oppositionellen liberalen Bundes Freier Demokraten (SZDSZ) vorgestellt. Der SZDSZ unterstützt den Misstrauensantrag und die Nominierung Bajnais als neuer Premier.

(APA)

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