Polen: Wilde Gerüchte um Kaczyńskis Flugzeugabsturz

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Die Frage Unfall oder Attentat droht die Kampagne für die polnischen Präsidentschaftswahlen am 10. Mai zu bestimmen.

Warschau. Die Kathedrale in der Warschauer Altstadt ist brechend voll. Auf einem Ehrenplatz rechts hinter dem Altar hat Jarosław Kaczyński mit seinen treuesten Anhängern Platz genommen. Anlass für die Gedenkfeier ist der Absturz der polnischen Präsidentenmaschine im April 2010 unweit der westrussischen Stadt Smolensk. Der Priester begrüßt neben dem rechtsnationalen Oppositionsführer auch eine Delegation der Individualbauern-„Solidarność“. Die Männer stehen mit ihren grünen Flaggen etwas verloren mitten unter Gläubigen, die polnische Fahnen und Holzkreuze in die Höhe halten.

„Es ist wie früher unter den Kommunisten; in diesen schweren Zeiten singen wir wieder dieselben patriotischen Lieder“, sagt eine Kirchengängerin nach der Gedenkmesse. Wie schwer die Zeiten wieder sind, lehrt ein Flugblatt, das noch während der Messe herumgereicht wird. Es stellt den amtierenden Staatspräsidenten, Bronisław Komorowski, mit drei kläffenden Hunden als Vasallenfürsten der Russen dar. „Betrüger“ heißt die Schmähschrift, die die Präsidentenfamilie durch den Dreck zieht.

Die meisten Gläubigen reihen sich nach der Messe in den allmonatlichen Demonstrationszug vor den Präsidentenpalast ein. Mit von der Partie ist auch Antoni Macierewicz, der die nur von der rechtsnationalen Opposition besetzte Parlamentarische Untersuchungskommission zum Flugzeugabsturz von Smolensk leitet. In dichtem Nebel war dieses am 10. April 2010 bei Smolensk unweit des dortigen Flughafens beim Landeanflug in ein Waldstück gerast und zerborsten. Alle 96 Insassen kamen dabei ums Leben, darunter Staatspräsident Lech Kaczyński sowie viele Politiker und Generäle. Die Absturzursache ist bis heute nicht restlos aufgeklärt, was Spekulationen Tür und Tor öffnet. Macierewiczs Kommission indes ist überzeugt, dass es vor fünf Jahren zu einem Attentat auf die Präsidentenmaschine kam. Viele der rund 2000 Demonstranten sind dieser Meinung. Sie tragen Transparente, die Putin und Tusk in inniger Umarmung zeigen. „Mörder!“, steht darauf.

Stichwahl scheint wahrscheinlich

Vorsichtiger gibt sich am Ende der Demo vor dem Präsidentenpalast Lech Kaczyńskis Zwillingsbruder Jarosław. Zum fünften Jahrestag erwarte er neue Erkenntnisse, sagt er in einer kurzen, leisen Ansprache. Der Grund für so viel Zurückhaltung des Oppositionsführers liegt am nahenden Höhepunkt des Präsidentschaftswahlkampfes. Kaczyńskis Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) setzt dabei wie bereits im Sommer 2010 auf Mäßigung. Kein Gerede von einem angeblich von Tusk und Putin gemeinsam geplanten Attentat auf Kaczyński soll Polens Mitte vergraulen. Umfragen zeigen, dass nur jeder dritte Pole wirklich an ein Attentat glaubt. Deshalb hat Jarosław Kaczyńskis Präsidentschaftskandidat, Andrzej Duda, einstiger Kanzleichef von Lech, mit weichgespülten PiS-Parolen in den vergangen Monaten erstaunlich gute Umfragewerte erzielt. Ging man lang von einem Wahlsieg Komorowskis bereits in der ersten Runde am 10. Mai aus, so sieht heute vieles nach einer Stichwahl Ende Mai aus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.04.2015)

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