April 1945: „Revolutionäre Sozialisten“, „Kryptofaschisten“

Sofort nach dem Kampf um Wien formierten sich die drei Parteien, um eine Regierung zu bilden. Die Widerstandsbewegung wurde ausgebremst, der KP-Versuch einer „Volksfront“ ging schief. Gottlob.

Mit der Gründungssitzung der SPÖ am 14. April 1945 im Wiener Rathaus konstituierte sich schon einen Tag nach dem Ende der Schlacht um Wien die erste demokratische Partei der Zweiten Republik. Am 17. April folgte der Gründungsakt der ÖVP. Auch die KPÖ wurde nach der Rückkehr ihrer führenden Funktionäre am 21. April wieder aktiv. Die drei Parteien bildeten die erste Regierung.
Und die Widerstandsbewegung O5? Sie ging leer aus. Die Gruppe mit dem Sitz im Palais Auersperg wollte als politische Dachorganisation auftreten und rechnete sich Schlüsselpositionen aus. Aber da waren die Parteipolitiker schneller.

Als Neugründung im eigentlichen Sinn kann nur die am 17. April 1945 im Schottenstift in der Wiener Innenstadt gegründete Volkspartei bezeichnet werden. Zum ersten Obmann wurde Leopold Kunschak gewählt, geschäftsführender Obmann wurde Hans Pernter, der unter Schuschnigg Unterrichtsminister war. Felix Hurdes übernahm als Generalsekretär die Verantwortung für den organisatorischen Aufbau.

Eine „Partei des Volkes“

Der Grundsatzbeschluss zur Gründung der ÖVP war bereits zu Ostern 1944 gefallen. Leopold Figl, Lois Weinberger, Pernter und Hurdes hatten damals beschlossen, die illegalen Aktivitäten der Christgewerkschafter, der Bauernbündler und der Wirtschaftsvertreter in einer politischen Organisation zusammenzufassen. Eine „Volkspartei“ sollte das werden. Dem stimmte im Namen des Wirtschaftsbundes auch Julius Raab zu.

Die SPÖ war ebenfalls schon aktiv. Nach einer ersten Zusammenkunft am 12. April wurde am 14. April im Roten Salon des Wiener Rathauses ein provisorischer Vorstand der Sozialistischen Partei Österreichs (Sozialdemokraten und Revolutionäre Sozialisten) gewählt. Damit wurden die zwei Flügel der Arbeiterbewegung vereinigt. Die Sozialdemokraten – neben Adolf Schärf und Karl Renner auch Oskar Helmer, Theodor Körner und Paul Speiser – wollten das bis 1934 bestehende parlamentarische System wieder einführen. Die Revolutionären Sozialisten – u. a. Josef Afritsch, Felix Slavik und Hilde Krones – hatten die „Diktatur des Proletariats“ zum Ziel.

Schärf war der Mann der Stunde

Schärf pendelte bei der Sitzung zwischen den an getrennten Tischen sitzenden Vertretern der beiden Fraktionen vermittelnd hin und her. Zum Vorsitzenden wurde Karl Seitz gewählt, der zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht in Wien (und krank) war. Interimistisch wurde daher Adolf Schärf bestellt, Mitte Dezember dann beim ersten ordentlichen Parteitag der Sozialisten seit 1933 definitiv gewählt. Seitz war verbittert.

Zurück zur ÖVP: Johannes Eidlitz, ein Gründungsmitglied, später in den Sechzigerjahren stv. „Presse“-Chefredakteur, erinnerte sich an die einfachen Räumlichkeiten, die nach dem Krieg vom Abt des Schottenstiftes der ÖVP als erste Parteizentrale zur Verfügung gestellt wurde: drei kleine Räume und ein Bad. Jetzt musste aber noch die Zustimmung der sowjetischen Besatzung eingeholt werden. Auf der Kommandantur. Eidlitz: „Für die SPÖ und KPÖ war das in 20 Minuten erledigt. Mich haben sie nach Strich und Faden über Programm, Aufbau und Struktur der Partei ausgefragt. Mein Dolmetsch, ein Universitätslektor für Russisch, wurde ganz weiß im Gesicht. Nachdem alles dann doch positiv erledigt war, hat der Dolmetsch den Grund für seine Gesichtsfarbe gelüftet: Der daneben sitzende Politkommissar habe jede Aussage mit den Worten ,Kryptofaschist‘, ,Kryptofaschist‘ kommentiert. Zum Glück hat der General dem nicht geglaubt“, erinnerte sich Eidlitz an diese bangen Minuten.

Koplenig stand allein da

Ebenfalls im April 1945 war die KPÖ auferstanden, die dritte von den Alliierten zugelassene Gruppierung. Ihr Anführer Johann Koplenig hatte die NS-Zeit im Moskauer Prominentenhotel „Lux“ überlebt und sollte nun – nach dem Muster Ulbrichts in der deutschen Sowjetzone – eine „antifaschistische Einheitsfront“ zur Übernahme der Macht anstreben. Anders als in Ostdeutschland verweigerten sich aber die Sozialdemokraten. So kam es am 27. April zur österreichischen Unabhängigkeitserklärung und am 8. Mai zur Bildung einer provisorischen Staatsregierung aller drei Parteien unter Führung des gevieften Taktikers Karl Renner. (hws)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.04.2015)

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