Nicht schauen, sondern tun

Appell an die Menschlichkeit: Beate Winklers kleine Ermutigung „Unsere Chance“.

Ein Rettungsring ziert das Cover des kleinen Buches von Beate Winkler. Es wäre handlich genug, um es im Eventualfall schnell einzustecken und mitzunehmen. Gebetbücher jedenfalls haben eine solche tröstliche Funktion. Und zumindest vom Format her fällt „Unsere Chance. Mut, Handeln und Visionen in der Krise“ in das Segment der Erbauungsbücher.

Erbaulich jedoch sind die ersten, kurzen Kapitel nicht – ihres inhaltlichen Gewichts wegen. Viel ist da von „Beunruhigung“, wenn nicht von „Angst“ die Rede, und in der Zusammenschau der besorgniserregenden Ereignisse auf diesem Planeten ist man geneigt, es Winkler gleichzutun. Da wird in großen, schnellen Strichen eine Gegenwart skizziert, die von Krisen bestimmt ist, die eine Eigendynamik entwickeln, die alles zu erfassen droht, was wir zu steuern hofften. Wir als tägliche Lieferanten von Schlagzeilen kennen die Themen: den Schrecken des Terrors, die Opfer und Auswürfe des Turbokapitalismus, die Wiederauferstehung alter Fronten und Feinbilder (Stichwort Russland). Neu ist vielleicht die Gleichzeitigkeit dieser Erscheinungen, oder zumindest ihre Darstellung und Wahrnehmung.

So einfach Winklers Befund klingt, die Juristin und Autorin geht die Minenfelder mit großen Schritten, viel Sachkenntnis und Erfahrung ab. Wiederholt kommt sie zu dem Befund, dass viel zu wenig gehandelt wird, dass es Ermutigung, dann Mut braucht. Dieses Unverhältnis vom Erfassen von Problemen und ihrer Lösung kennt sie aus ihrer langen Arbeit am politischen Parkett; unter anderem war Winkler die erste Frau in der Leitung einer EU-Agentur, der jetzigen EU-Grundrechtsagentur.

Während 60 Prozent des Einsatzes auf die Analyse eines Problems entfallen, 30 für Lösungsansätze aufgewandt werden, bleiben nur zehn, um zur Tat zu schreiten, rechnet sie. Hier liegt Winklers Ansatz zur „Chance“, der Impetus zu diesem kleinen Werk: als Bürger „Mut zum Handeln“ zu sammeln und „mit Fragen erste Schritte tun“.

Verstand als einziges Instrument?

Das klingt einfach – und ist es auch auf eine weise Weise. Denn an uns selbst führt in dieser übersichtlichen Handlungsanweisung kein Weg vorbei. Die großen Fragen brauchen auch die kleinen, persönliche Einsichten und Eigeninitiativen. Wir müssen überlegen, warum unser Wertbewusstsein verloren geht, warum der finanzielle Nutzen in unserer Gesellschaft eine so eminente Bedeutung hat. Oder warum man so viel dazu tut, sich selbst und andere daran zu hindern, ein glückliches Leben zu führen. Oder ob der Verstand, der uns leitet, das einzige Instrumentarium ist, in Frieden miteinander zu leben.

Darüber hinaus stellt Winkler kurz ein paar Beispiele von Initiativen in Europa vor, denen es gelang, einen Diskurs zu eröffnen. Diese Beispiele sind natürlich subjektiv gewählt. Der Grundton des Buches ist eingängig, nicht zuletzt wegen seiner literarischen Einschlüsse. Ergänzt wird der Text von einem Anhang mit Adressen zur weiteren Information.

Ob ein so kleines erhellendes Werk das Ausmaß unseres Debakels und unserer Möglichkeiten aufzeigen kann, ist die falsche Frage. Denn diese Forderung könnte wohl auch kein Opus Magnum erfüllen. Aber als Anstiftung zum Optimismus, zur Zivilcourage, zur Selbstbestimmung kann man den Rettungsring, den uns Beate Winkler zuwirft, aufnehmen und „Unsere Chance“ lesen. ■

Beate Winkler

Unsere Chance

Mut, Handeln und Visionen in der Krise. 112S., geb., €10,30 (Europa Verlag, Berlin)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.04.2015)

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