"Vermögensteuern sind ein Auslaufmodell"

Österreichs Steuer- und Ausgabensystem muss generalsaniert werden, so Wifo-Ökonomin Schratzenstaller.

Die Presse: Die angeblich größte Steuerreform der Zweiten Republik fällt doch eher klein aus. Verdient sie ihren Namen?

Margit Schratzenstaller: Wenn man nur das Volumen ansieht, dann ist die Steuerreform relativ groß. Grundsätzliche Strukturreformen sind aber ausgeblieben. Das Ausgaben- und das Abgabensystem in Österreich müssen generalsaniert werden. Da ist trotz aller Diskussionen um Ineffizienzen bei öffentlichen Ausgaben nichts passiert.

Diese Steuerreform gibt den Bürgern lediglich die versteckten Steuererhöhungen durch die kalte Progression zurück. Das könnte man auch automatisieren, wie es Deutschland plant. Die nächste Regierung müsste dann eine echte Reform vorlegen, um sich dafür feiern zu lassen.

Es wäre wirklich sinnvoll, die Tarifzonen automatisch an die Teuerung anzupassen und so das Problem der kalten Progression auszuschalten. Aber das erspart uns Strukturreformen nicht. Die Steuersätze in Österreich sind sehr hoch, die Steuerbasis aber durch Ausnahmen durchlöchert. Das ist ökonomisch nicht gescheit und für die Transparenz nicht gut. Hier ist die Regierung viel schuldig geblieben.

Die Belastung der Arbeitseinkommen ist zwischen 1975 und 1995 extrem gestiegen, stagniert aber seither. Taumeln wir seit 20 Jahren an der Grenze der Belastbarkeit?

Das System ist noch nicht am Implodieren. Aber die Abgabenquote ist beständig angestiegen. Von 36 Prozent im Jahr 1976 auf rund 44 Prozent 1997. Das ist vor allem auf den Ausbau der sozialen Sicherung zurückzuführen. Dass sie seither konstant ist, hat auch mit dem internationalen Steuerwettbewerb zu tun. Er setzt Grenzen für den weiteren Ausbau der Abgabenquote. Vielen Ländern geht es ähnlich. In Skandinavien sinkt die Abgabenquote sogar. Das System hat also eine gewisse Grenze erreicht. Vor allem, wenn man bedenkt, dass die Ausgaben aufgrund der Alterung steigen werden.

Bezeichnend ist ja auch, dass nicht die Steuern, sondern die Sozialversicherungsbeiträge den größten Teil unserer Einkommen verschlingen. Sie wurden bei der Steuerreform nicht einmal angetastet. Wie könnte man hier gegensteuern?

In einigen Bereichen könnte man sicher effizienter werden, ohne qualitativ Abstriche hinnehmen zu müssen. Immer noch werden Krankenhäuser nebeneinander gebaut, immer noch gibt es Überkapazitäten, immer noch steigt das faktische Pensionsantrittsalter zu langsam an. Und auch die Familienförderung müsste man sich einmal genau ansehen. Hier geben Bund und Länder Summen aus, von denen wir kaum etwas wissen. Wo bleibt da die Transparenz?

Nur drei OECD-Länder haben eine höhere Abgabenquote als Österreich. Was wäre eine gesunde Abgabenquote, die Österreichs Sozialstaat finanzieren könnte?

Das hängt davon ab, woher das Geld kommt und was damit gemacht wird. Wenn die Steuern nicht wachstumsfeindlich sind und effizient in den richtigen Bereichen eingesetzt werden, ist die Höhe weniger relevant. Beides ist in Österreich nicht der Fall.

Wie müsste die fehlende Strukturreform im Steuersystem aussehen? Sollte man Steuern auf Arbeit komplett abschaffen?

Die Besteuerung der Arbeit wird immer eine Rolle spielen. Aber ihre Rolle muss eingeschränkt werden. Wir müssen Bereiche nutzen, von denen man weiß, dass sie Wachstum und Beschäftigung weniger schaden. Wenn man im Umwelt- oder Gesundheitsbereich keine Lenkungssteuern nützt und die Schäden mit hohen Kosten beseitigen muss, ist das einfach unklug. Im Umweltbereich gibt es Steuerausnahmen von 2,6 Milliarden Euro. Die müsste man sich in einem ersten Schritt genau ansehen. Danach käme die Einführung der CO2-Steuer, Mineralölsteuer, nutzungsabhängige Pkw-Mauten etc.

Die Ökologisierung des Steuersystems ist der Regierung offenbar kein Anliegen. Stattdessen wird mit der Lockerung des Bankgeheimnisses implizit der Weg freigemacht für Vermögensteuern. Welche Rolle sollten sie in einem neuen Steuersystem spielen?

Hier sind nicht alle Varianten zielführend. Die Erbschaftssteuer und eine stärkere Nutzung der Grundsteuern wären eine gute Alternativen, wenn man dafür die Arbeit entlastet. Die allgemeine Vermögensteuer ist aber problematisch. Wenn sie Unternehmen trifft und diese auch bei Verlusten bezahlen müssen, ist es eine Substanzsteuer, die krisenverschärfend wirken kann. Soll es nur die Privaten treffen, werden Menschen versuchen, das private Vermögen in den betrieblichen Bereich zu verschieben. Es gibt sie international auch fast nicht mehr. Frankreich hat sie noch, Spanien kurzfristig, Norwegen, Island und ein paar Schweizer Kantone. Vermögensteuern sind ein Auslaufmodell, ganz im Gegensatz zu Erbschaftssteuern, die man auch mit weniger Nebenwirkungen gestalten kann.

Auch Finanzminister Hans Jörg Schelling gilt als strikter Gegner der Vermögensteuern. Eine Anhebung der Kapitalertragsteuer kommt aber dennoch.

Wenn man Vermögen besteuern will, ist die Kapitalertragsteuer sicher besser als eine echte Vermögensteuer. Sieht man sich die internationalen Steuersätze an, befindet sich Österreich damit jetzt etwa im Mittelfeld. Aber man muss auch bei der Kapitalertragsteuer über Freibeträge nachdenken. Die kleinen Sparer will und soll man ja nicht treffen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.05.2015)

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