Solistenkonzerte: Wunderkind und Weltbürger

(c) Sony/Michael O‘Neill
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Die Salzburger Solistenkonzerte: von Yo-Yo Ma über Maurizio Pollini bis Pierre-Laurent Aimard.

Bei Bachs Suiten für Cello solo (und ebenso bei seinen Sonaten und Partiten für Violine) stellt sich oft etwas ein, was man, würde es nicht bei anderen Komponisten gelegentlich auch vorkommen, als Bach-Phänomen bezeichnen müsste: Die Lieblingssuite ist immer die, die man gerade hört. So gesehen spielt Starcellist Yo-Yo Ma am 29. August im Haus für Mozart gleich drei Lieblingssuiten.

Der Cellist ist ein echter Weltbürger: Geboren in Paris in eine chinesische Musikerfamilie (seine Mutter war Sängerin, der Vater Geiger), wuchs er weitgehend in den USA auf. Als er im Alter von vier Jahren mit dem Cellospiel begann, war das bereits sein drittes Ins-trument, nachdem er es zuvor mit Violine und Viola probiert hatte. Dem Cello blieb er treu, und er zählt seit Langem zu den unumstrittenen Stars auf diesem Instrument. Eineinhalb Dutzend Grammys geben davon ein eindrucksvolles Zeugnis. Die Grenzüberschreitung ist bei Yo-Yo Ma nicht auf das Geografische beschränkt, auch sein Reportoire suchte er nach allen Seiten zu erweitern, etwa durch Beschäftigung mit dem Tango Nuevo Astor Piazollas oder durch gelegentliche Ausflüge in den Jazz.

Entspannte Harmonienwanderung. Bei den Salzburger Festspielen ist er heuer gleich zweimal zu Gast: Am 25. August interpretiert er, gemeinsam mit dem Boston Symphony Orchestra unter Andris Nelsons, Richard Strauss’ „Don Quixote“ (als zweiter Solist ist Steven Ansell an der Bratsche zu Gange), vier Tage später gibt er sich dann, wie erwähnt, ganz Bach hin. An den Beginn dieses Abends setzt er die – auch bei Gitarristen sehr beliebte – erste Suite in G-Dur mit ihrem geradezu idealtypischen Prélude: eine einfache Zerlegung über eine einfache Kadenz als Ausgangspunkt für eine entspannte Harmonienwanderung. Es ist die kürzeste der Suiten, und den Abend beenden wird Yo-Yo Ma mit der längsten, der gewaltigen sechsten in D-Dur, deren Prélude mit dem auftrumpfenden Gestus charakterlich das krasse Gegenstück zu jenem ersten bildet.

Einen großen Teil seines Suitenwerks hat Bach freilich für Tasteninstrumente geschrieben. Diskussionen, ob man diese Werke denn überhaupt auf einem modernen Flügel spielen dürfe, von dessen späterer Existenz Bach ja noch nichts ahnen konnte, sind müßig, wenn ein Interpret wie Grigori Sokolov am Flügel sitzt. Der berühmte Lautenist Hopkinson Smith hat diese Streitfrage im Grund mit seinem Satz über Bachs erste Violinsonate final beantwortet: „Das ist nicht original Violine, das ist original Musik.“

okolov, der übrigens soeben mit seinem Salzburger Recital von 2008 sein erstes Livealbum seit 20 Jahren vorgelegt hat, setzt die 1. Partita in B-Dur aufs Programm, deren Prélude sich zögernd vorwärtstastet, und die recht eigentlich erst mit der Allemande so richtig vom Stapel gelassen wird.

Geringste Mittel, größte Wirkung. Neben Bach widmet sich Sokolov vor allem einem Komponisten, der ihm seit Jahren besonders am Herzen zu liegen scheint: Franz Schubert. Ausgewählt hat der russische Pianist außer den sechs beliebten „Moments Musicaux“ mit der Sonate D 784 ein Werk, das in seiner Schlichtheit (besonders im Kopfsatz) für Sokolows eher introvertierte Spielweise wie maßgeschneidert wirkt: Es ist eine der kleinen, dreisätzigen a-Moll-Sonaten, und jene mit dem vielleicht schönsten Seitenthema, das Schubert einer seiner Klaviersonaten geschenkt hat. Wie hier mit geringsten tonsetzerischen Mitteln größte Wirkung erzielt wird, macht jedes Mal wieder staunen.

Schubert ist überhaupt ein häufiger Gast in den Klavierabenden der heurigen Festspiele: Der impulsive Arcadi Volodos wird die gar nicht impulsive letzte Sonate in B interpretieren, für die es nicht zuletzt einen langen Atem braucht, Mitsuko Uchida die erste Serie „Impromptus“, von denen die Nummern zwei und drei den Rang von Klassikhits erlangt haben, deren bemerkenswertestes Stück aber das monothematische Ungeheuer in c-Moll ist, mit dem der Zyklus anhebt, und bei dem gerade die thematische Reduktion hohe Anforderungen an den Interpreten stellt.

Überwältigend komisch. Dem Variationenprinzip bleibt Uchida auch im zweiten Teil treu, indem sie sich Beethovens „Diabelli-Variationen“ vornimmt, die nicht nur überwältigend, sondern auch überwältigend komisch sind. Sie sprühen teilweise nur so vor Witz, auch hintergründigem, wenn Beethoven etwa nach der alle Register ziehenden Fuge den größtmöglichen Kontrast liefert und im abschließenden Tempo di Menutto den Walzer Diabellis als halbes Menuett enttarnt. Diabelli, Komponist und geschäftstüchtiger Verleger, hatte 1819 zahlreiche bekannte Komponisten um je eine Variation gebeten. Beethoven schuf deren 33 und damit gleichzeitig den monumentalen Schlussstein seines Klavierwerks.

Beethoven steht immer wieder auch im Zentrum der zur Institution gewordenen Salzburger Klavierabende von Maurizio Pollini. Dass er dabei manche Werke immer wieder zur Diskussion stellt, ist nachvollziehbar: Welcher Pianist könnte schon von sich behaupten, Letztgültiges etwa zu einer „Appassionata“ gesagt zu haben? Und so steht diese bei Pianisten so beliebte wie von ihren spieltechnischen Anforderungen her berüchtigte Sonate nach 2009 und 2011 heuer erneut auf dem Programm. Ein Wiederhören nach 2009 gibt es ebenfalls mit der „Sturm“-Sonate: „Überzeugend die Geschlossenheit, mit der Pollini die einleitende ,Sturm‘-Sonate präsentierte, als wäre sie eine Fantasie, vom behutsam sich in die Stille vortastenden, aufsteigenden Arpeggio des Stirnsatzes bis zum lapidar versickernden absteigenden Arpeggio des Finales“, schrieb „Die Presse“ vor sechs Jahren. Man darf gespannt sein, welche Facetten ihr Pollini diesmal abgewinnt.

Schönberg und Boulez. Pollini, seit Langem ein unermüdlicher Fürsprecher Arnold Schönbergs, hat zwischen die Beethoven-Sonaten in die Mitte seines Programms auch zwei Zyklen von Klavierstücken des Begründers der Zweiten Wiener Schule gesetzt: Opus 11 und Opus 19. Pollinis viel gerühmtes transparentes Klavierspiel und seine intellektuelle Durchdringung des Notentextes sind die ideale Grundvoraussetzung, diese Werke angemessen darzustellen.

Zu jenen, die den von Schönberg eingeschlagenen Weg radikal weitergegangen sind, gehört der Franzose Pierre Boulez, der soeben seinen 90. Geburtstag gefeiert hat und dem die Salzburger Festspiele einen Schwerpunkt widmen. Zu Ehren des Komponisten und Dirigenten werden heuer weltweit zahlreiche seiner Werke in Konzertprogramme eingestreut. Sein Landsmann Pierre-Laurent Aimard streut nicht, er klotzt – und wagt gemeinsam mit Tamara Stefanovich eine Gesamtdarstellung des Boulez’schen Klavierwerks an einem Abend.

Boulez’ Lehrer, Oliver Messiaen, schließlich kommt im ersten der Solistenkonzerte der heurigen Festspiele zu Gehör: Im Rahmen der Ouverture spirituelle wird Herbert Schuch unter dem Titel „Invocation“ (Beschwörung, Anrufung) religiös konnotierte Musik von Bach bis in die Gegenwart präsentieren.

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