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One Direction: Die Teeniepsyche übt für die Liebe

(c) REUTERS (L.E. BASKOW)
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An One Direction schärften sich 44.000 Besucher im Wiener Stadion die Krallen für zukünftige Liebesabenteuer. Visite beim aktuell heißesten Boy-Band-Phänomen.

Schreie des Entzückens gellten der britischen Boy Band schon entgegen, als sie noch gar nicht auf der Bühne stand. Nach der ein wenig zu aggressiven Vorband musste das zu neun Zehntel aus jungen Mädchen bestehende Publikum mit liebreizenden Filmchen gelabt werden. Mit deren Hilfe konnten sich die jungen Wesen ganz langsam in den Modus des erweiterten Schwärmens begeben. Wissendes Beckenkreisen zu „Macarena“, Aufwärmen der Stimme zu Beyoncés „Single Ladies“. Ein letzter Blick, ob das illuminierbare Haargesteck auch funktionstüchtig ist, ob sich kein Rechtschreibfehler auf die Flirting Card eingeschlichen hat, dann konnte es losgehen.

Und schon enterte der langhaarige Harry Styles federnden Schritts die Bühne. Der Kreischpegel schraubte sich erstmals in gefährliche Höhen. Der 21-Jährige repräsentiert jene Art von androgyner Schönheit, wie sie gerne an die Wände von Vorstadtfriseursalons geheftet wird, weil sie Manderl wie Weiberl gleichermaßen anzieht. In natura wirkt Styles sensibel, ist somit genau das richtige Appetithapperl für Mädchen mit ausgeprägtem Bemutterungsinstinkt. Alphabursche von One Direction ist allerdings Liam Payne. Der lässt sich freche Barthaare im milchigen Antlitz stehen und markiert in den clever ausgetüftelten Choreografien den Juniormacho. Der blonde Niall Horan, der als Einziger eine Gitarre ausführen darf, scheint die ideale Ergänzung für Mädels zu sein, die in der Welt recht passiv sind, sich aber in der guten Stube zur dominanten Kraft entwickeln. Louis Tomlinson schließlich ist jener, über den spekuliert wird, ob er denn nicht doch homoerotisch orientiert sei.

Geldmaschine höchsten Ranges

Nur die Fans von Zayn Malik waren arm an diesem Abend. Der pakistanischstämmige Exot stieg im März aus dem Unternehmen aus. Wahrscheinlich wollte er nicht mehr leben wie ein Mönch auf Diät – denn der ausschweifende Lebensstil der Band ist natürlich nur Show. Die Sehnsucht nach Transfetten und Fusel kann tückisch sein. Die hormonell hochkarätigen Kameraden nahmen den Ausstieg tapfer hin. Was blieb ihnen auch übrig? Was einst im afroamerikanischen Doo Wop so unschuldig an schummrig beleuchteten Straßenecken begann, hat sich längst der gewinnoptimierenden Logik von multinationalen Konzernen gefügt. Frankie Valli & The Four Seasons demonstrierten in den Sechzigern, dass das Modell von Teenagern unterschiedlicher Wesensart und Stimmhöhe, die letztlich doch typisiert sind wie die Figuren der Commedia dell'Arte, auch auf dem weißen Markt einschlagen kann. In den Neunzigern wurde weiter professionalisiert. New Kids On The Block, NSYNC, Take That und die Backstreet Boys kassierten ab wie die Weltmeister. Mit One Direction hat sich nun ein Phänomen etabliert, das mithilfe der neuen, digitalen Kommunikationskanäle alles Bisherige in den Schatten stellt. Die vom britischen Talentevampir Simon Cowell („The X Factor“) zusammengestellte Boy Band erwies sich als Gelderzeugungsmaschine höchsten Ranges.

Obwohl sie mit Malik gerade einen der ihren verloren haben, zeigten sich One Direction im Wiener Stadion schon mit dem ersten Song, „Clouds“, kämpferisch. Mit schwummrig machendem Harmoniegesang lockten sie in ein Szenario der Wechselhaftigkeit, an das man sich besser gewöhnt, wenn man erwachsen werden will. „I know you say that you are tired of all the changes, well love is always changing, woah!“ Umlagert von 44.000 Fans jagten sie ihre reichlich mit Melismen geschmückte, liebestrunkene Lyrik ins Oval. Ihr libidinöses Ungestüm unterzogen sie sogar einer zarten Kritik: „I don't know why I wanna be with every girl I meet.“ Die Conclusio zielte auf das Auskosten des Moments: „Live your live, if it's only for tonight“, hieß es zu den brätzigen Achtzigerjahre-Rockgitarren in „Alive“. Das an die Bee Gees erinnernde „Night Changes“ war ein rares Highlight.

23 Lieder lang schauten One Direction den Mädchen im Publikum dabei zu, wie sie sich ihnen verzweifelt entgegenbogen. Auf den Schildern über ihren Köpfen waren Angebote vermischter Art zu lesen. In Kinderschrift erträumten sich die Mädchen keusche Umarmungen und gemeinsames Schnitzelessen. Die gute Nachricht: Niemand wünschte sich ein Baby. Ein Transparent aber gab sich frühreif. Es versprach: „I hold in farts for you.“ Wenn sich das nur die Begleitband auch vorgenommen hätte. Egal, an diesem Abend ging es nicht um musikalische Feinheiten, sondern darum, dass die Teeniepsyche ein wenig für den Ausnahmezustand Liebe übt. Zum Schlusslied, „Best Song Ever“, zischten die Feuerwerke. Am geduldigen Wiener Nachthimmel einerseits und wohl auch in den jungen Herzen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.06.2015)

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