Kunst goes Company

Kunst im betrieblichen Raum– nicht als Behübschung, sondern als Experiment. Mit ihrem Projekt „Company. Arbeiten in Berndorf“ machen Beatrix Zobl und Wolfgang Schneider einen Industriebetrieb zum Kunstobjekt.

Entlassung, Kündigung, Freisetzung? Es herrscht eine babylonische Sprachverwirrung bei diesen Begriffen, so eine pensionierte Angehörige der Berndorf AG. Damit reagierte sie auf ein Video, das im Rahmen der Ausstellung „Company. Arbeiten in Berndorf“ zu sehen war. Der Film zeigt eine Konfrontation zwischen Florian Schramm, dem Geschäftsführer der Berndorf Bäderbau, und dem Betriebsrat Josef Herzog. Die beiden wurden für das „Diskursprojekt“ von Beatrix Zobl und Wolfgang Schneider vor die Aufgabe gestellt, ihre angestammten Rollen zu tauschen; der Geschäftsführer hatte also den Betriebsrats zu spielen und umgekehrt. Als Gegenstand der Auseinandersetzung nahm man sich das Thema „Überstunden“ vor. Die sollten nicht mehr im bisherigen Umfang ausbezahlt werden, weil die Firma nur mit Dumpingpreisen an einen Auftrag gekommen war.

„Wie soll ein Arbeiter diese Last ertragen“, konterte der Betriebsrat auf den Vorschlag des Geschäftsführers, die Überstunden nicht auszubezahlen, sondern in einen Pool zu stecken, der je nach Auftragslage gespeist oder entleert werden könne. Mehr als die Argumente, die die Kontrahenten austauschten, interessierte die ehemalige Mitarbeiterin aber deren Körperhaltungen bei der Diskussion: Der Betriebsrat in der Rolle des Geschäftsführers saß windschief auf dem Sessel, sprach leise und fast flehend mit Dackelblick, während der Geschäftsführer als Betriebsrat auf den Tisch haute, ausladend mit den Händen gestikulierte und abschmetterte, was immer von der Gegenseite vorgebracht wurde. Bis zu dem Punkt, an dem der vermeintliche Geschäftsführer fast zärtlich das Wort „Freisetzungen“ in den Mund nahm. Da fiel der eigentliche Geschäftsführer aus seiner Rolle und polterte laut lachend: „Genau! Genau!“.

Durch den Rollentausch änderte sich nichts in der Rollenverteilung, kommentierte die frühere Betriebsangehörige das Geschehen. Der echte Betriebsrat blieb auch als Geschäftsführer der Bittsteller, der „Verhandlungsführer“ war auch in diesem umgedrehten Gespräch der echte Chef. „I hob's jo leicht“, kommentierte Josef Herzog nach dem Ende des Experiments seine Laborsituation. Dass die Berndorf Bäderbau diesen Film im Gebäude des Vorstands vorführen lässt, ja dass sie diesem Kunstexperiment zugestimmt hat, ist eine der Stärken dieses Unternehmens. Das sieht jedenfalls Wolfgang Schneider so, der nach dem Plazet des Vorstands zu dem Projekt einen Zentralschlüssel ausgehändigt bekam, mit dem er Tag und Nacht Zugang zum Betriebsgelände hatte. Von diesem großzügig gewährten Freiraum wurde auch Gebrauch gemacht, etwa im Sommer 2008.

In dieser Zeit entstand das Video „Nachtschicht“. Darin wird quasi der heilige Schrein der Bäderbau entweiht. Vor dem Verwaltungsgebäude steht nämlich der „Golden Pool“, das Schaustück der Firma, ein Miniatur-Swimmingpool, der abtransportiert und auf Ausstellungen und Messen präsentiert werden kann. Zu Beginn des Films sieht man zwei Menschen das verglaste und beleuchtete Treppenhaus nach unten steigen. Beim Ausgang angekommen, entkleiden sich die beiden, verlassen das Gebäude und steigen in der lauen Vollmondnacht in den „Golden Pool“. Sie tun also genau das, wofür ein Schwimmbad eigentlich geschaffen ist, was aber für diejenigen, die es herstellen, zeitlebens unerschwinglich bleibt.

Im Treppenhaus hängen normalerweise großflächige Fotos von den schönsten Pools, die die Firma gebaut hat. Über diese Bilder wurden für die Ausstellung auf blauen Kunststoff-Kartonagen mittelalterliche Darstellungen der sieben Todsünden gehängt. Ob sich das Unternehmen damit identifiziere, wollte eine Besucherin wissen. Das nicht gerade, so Beatrix Zobl. Aber man ließ die Künstler gewähren. Unmut beim Vorstand erregte erst, als die beiden Goldfische in den „Golden Pool“ aussetzten. „Wir bauen doch keine Aquarien“, raunte ein Vorstandsmitglied der Künstlerin zu. Inzwischen hat man sich an die Fische gewöhnt, die dem Prunkstück eine ironische Note verleihen.

Begonnen wurde das prozessuale Kunstprojekt vor zwei Jahren. Ziel war die Herstellung von Kommunikation und das Sichtbarmachen von Strukturen. Die beiden 1970 in Salzburg geborenen Künstler wollten mit möglichst vielen der zirka 150 Betriebsangehörigen ins Gespräch darüber kommen, was sie hier tun, wie ihre gegenwärtige Situation aussieht, was ihre Perspektiven sind.

Am Anfang schlug den beiden großes Misstrauen seitens der Arbeiter entgegen. Es wurde gemunkelt, sie wären von der Geschäftsführung als „Aufpasser“ installiert worden, fast im Stil einer Billig-Supermarktkette. Erst als sie klarmachen konnten, dass sie keinen Cent von der Firma bekommen, begannen die Arbeiter mit den Künstlern zu sprechen. Es zeigte sich, dass es für ein derartiges Projekt wichtig ist, nicht vom Unternehmen „gesponsert“ zu werden. Finanziert wurde das Projekt im Wesentlichen aus öffentlichen Mitteln vom Land Niederösterreich, der Arbeiterkammer Niederösterreich und dem Unterrichtsministerium.

Als richtig erwies sich auch der lange Zeitraum bis zur Ausstellung. Dauerte es doch eine Weile, bis aus den Eindringlingen für die Belegschaft Menschen wurden, denen man etwas anvertrauen kann. Nur langsam begannen die Mitarbeiter offen und direkt davon zu erzählen, wo sie der Schuh drückt. Eine Auswahl aus den viele Stunden dauernden Gesprächen war im Rahmen der Ausstellung zu hören. An vier Tagen gewährte die Firmenleitung dem Publikum Zugang auf das sonst öffentlich unzugängliche Werksgelände. Dort war das intern „WK 24“ (Werkskantine, 24 Stunden geöffnet) genannte Automatenbuffet zur „Blue Box“ umgestaltet. In diesem Kammerl konnte man den Geschichten aus der Arbeitswelt lauschen – ohne Gesichter zu sehen.

Umgekehrt lief in der Werkhalle ein Video mit dem Titel „How Am I Different“, das eine Vorstandssitzung wiedergab. Glasnost und Perestroika des Unternehmens gingen bei diesem Projekt so weit, die Künstler auch daran teilnehmen zu lassen. Erst als es um die Erhöhung der Vorstandsgehälter ging, wurden sie hinauskomplimentiert, erzählt Wolfgang Schneider. Der Film von einer Sitzung wurde auch nicht mit der Tonspur der Gespräche unterlegt, die dabei geführt wurden, sondern mit Popsongs, deren Texte versteckte Botschaften an die Betrachter sind.

Mit dieser Kunstaktion kehrt die Berndorf AG in gewisser Weise zu ihren Wurzeln zurück, befindet sich der Konzern doch auf de Gelände jener Metallwarenfabrik, die 1843 von Alfred Krupp gegründet worden war. Kurz danach stieß Hermann Krupp dazu, unter dessen Sohn Arthur das Werk einen rasanten Aufstieg nahm. Der Erfolg ermöglichte es ihm, Berndorf zur Musterstadt für Arbeiter zu machen – mit den bekannten kulturellen Einrichtungen, von der Schule über die Kirche bis zum Theater. An diese Tradition knüpfen die beiden Künstler nun mit Ihrer Kunstaktion in der Berndorf Bäderbau an. Und anders als die „McKinseys“ und Konsorten haben sie nicht vor, sich nach getaner Arbeit aus dem Staub zu machen, sondern die Wirkung ihrer Anstöße zu beobachten und den Betrieb weiter zu begleiten. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.05.2009)

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