Vier Jahre Haft für "Buchhalter von Auschwitz"

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Vier Jahre Haft für "Buchhalter von Auschwitz" REUTERS
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Ob der 94-Jährige haftfähig ist, muss die Staatsanwaltschaft prüfen. "Man kann auch nach 70 Jahren Gerechtigkeit schaffen", betont der Richter.

In einem der wohl letzten großen NS-Kriegsverbrecherprozesse hat das Landgericht Lüneburg den früheren SS-Mann Oskar Gröning zu vier Jahren Haft verurteilt. Er habe sich der Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen schuldig gemacht, urteilte das Gericht am Mittwoch. Ob der gesundheitlich angeschlagene 94-Jährige haftfähig ist, muss die Staatsanwaltschaft prüfen, wenn das Urteil rechtskräftig ist.

Das Gericht ging mit seinem Urteil über das von der Anklage geforderte Strafmaß hinaus. Gröning hatte im Prozess seine Beteiligung und moralische Mitschuld am Holocaust eingeräumt. Der auch "Buchhalter von Auschwitz" genannte Gröning gestand, Geld von Verschleppten gezählt und zur SS nach Berlin weitergeleitet zu haben. Er sagte aus, zwei- bis dreimal vertretungsweise Dienst an der Rampe getan zu haben, um dort Gepäck zu bewachen.

Die Staatsanwaltschaft forderte dreieinhalb Jahre Haft, von denen 22 Monate als verbüßt angesehen werden sollten, weil eine Verurteilung schon vor Jahrzehnten möglich gewesen wäre. Die Verteidiger plädierten auf Freispruch, weil Gröning den Holocaust im strafrechtlichen Sinne nicht gefördert habe.

"Sie haben sich für den sicheren Schreibtischjob entschieden"

Gröning habe in Auschwitz die heimtückische und grausame Tötung von Juden unterstützt, argumentierte das Gericht. Die konkrete Beihilfe zu bestimmten Mordtaten müsse ihm - anders als jahrzehntelang in der deutschen Rechtsprechung zu KZ-Tätern praktiziert - nicht nachgewiesen werden. Grönings Funktion als Rad im Getriebe der Tötungsmaschinerie sei das, was der Gesetzgeber als Beihilfe zum Mord beschreibe.

Dass Gröning in einer national gesinnten Familie aufwuchs, hätte nicht zwingend nach Auschwitz führen müssen, sagte der Vorsitzende Richter Franz Kompisch. "Sie tragen in sich die Erfahrung einer jahrhundertealten deutschen Kultur, die hatten Sie als Rüstzeug für ihr Leben." Der Waffen-SS sei er freiwillig beigetreten, um zu einer schneidigen Truppe zu zählen und nach einem siegreichen Krieg auf der Gewinnerseite zu stehen. Gröning könne sich nicht auf Befehlsnotstand und den damaligen Drill zum Gehorsam berufen. Trotz aller Indoktrination habe er sich frei entschieden.

Gröning sei es lieber gewesen, in Auschwitz zu bleiben als an die Front zu gehen. "Das ist eine Frage des Muts, eine Frage der persönlichen Entscheidung", sagte Kompisch. "Ich will Sie nicht als feige bezeichnen, aber Sie haben sich für den sicheren Schreibtischjob entschieden."

Die über 70 Nebenkläger - zumeist Überlebende von Auschwitz - zeigten sich mit dem Urteil einverstanden. "Es erfüllt uns mit Genugtuung, dass nunmehr auch die Täter Zeit ihres Lebens nicht vor einer Strafverfolgung sicher sein können", hieß es in einer Erklärung von Anwalt Thomas Walther. Erstmals habe sich in einem Prozess wegen NS-Verbrechen ein Angeklagter zu seiner Schuld bekannt und sich dafür entschuldigt.

Der "Buchhalter von Auschwitz"

Oskar Gröning gilt als "Buchhalter von Auschwitz". Weil er eine Banklehre absolviert hatte, wurde der Freiwillige der Waffen-SS 1942 in dem Konzentrationslager dafür eingeteilt, zurückgelassenes Geld der Verschleppten zu zählen und an die SS in Berlin weiterzuleiten.

Im September 1944 wechselte er in eine Einheit, die an der Front kämpfte. Nach seinen Angaben geschah das erst nach dem dritten von ihm gestellten Versetzungsgesuch.

Nach dem Krieg kam Gröning zunächst in britische Gefangenschaft, dann lebte er mit Frau und Kindern ein bürgerliches Leben in der Lüneburger Heide. Erst Mitte 1985 öffnete er sich. In einer Dokumentation der britischen BBC berichtete er über das, was er in Auschwitz sah und tat. Er selbst beschrieb sich dabei als "Rädchen im Getriebe". Gröning hat 2005 auch dem "Spiegel" von seiner Zeit in Auschwitz berichtet. Das Porträt "Der Buchhalter von Auschwitz" schildert ihn als jemanden, der seit Jahrzehnten nach einem anderen Wort für Schuld sucht.

Gegen den heute 94-Jährigen wurde bereits 1977 ermittelt. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt stellte das Verfahren im März 1985 aber mangels Beweisen ein. Eine Wiederaufnahme wurde später abgelehnt.

(APA/dpa/AFP)

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