"Zäune halten keine Flüchtlinge auf"

150717 ASOTTHALOM July 17 2015 Illegal migrants from Afghanistan walk on a road near borde
150717 ASOTTHALOM July 17 2015 Illegal migrants from Afghanistan walk on a road near bordeimago/Xinhua
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Der serbische Migrations-Experte Rados Djurovic warnt vor humanitärer Katastrophe auf der Balkan-Route.


Die Presse: Wie verläuft die Balkanroute und welche Rolle spielen dabei Serbien und Ungarn?


Rados Djurovic: Die Balkanroute ist derzeit nach der Mittelmeer-Route die wichtigste Migrations-Route in die EU – und führt von der Türkei nach Mitteleuropa. Es gibt Abzweigungen von der Türkei über Bulgarien, oder von Griechenland über Albanien und Montenegro. Doch inzwischen führt der Weg fast aller Flüchtlinge über Griechenland und Mazedonien durch Serbien und Ungarn. Serbien ist als Transitland der letzte Nicht-EU-Staat vor Ungarns Schengen-Grenze. Wer die überwunden hat, trifft im Prinzip bis Schweden auf keine Grenzkontrollen mehr.


Gibt es außer dem Syrien-Krieg noch andere Gründe für die Zunahme der Flüchtlingszahlen?


Ja, der Hauptgrund ist die eskalierende Gewalt in Syrien und Irak und die Brutalisierung des Kampfes des Islamischen Staats: Allein in die Türkei sind fast zwei Millionen Menschen aus Syrien geflüchtet. Griechenland ist dem Druck nicht mehr gewachsen, verhindert die Ausreise der Flüchtlinge so gut wie nicht mehr. Das intensiviert auch die Migration. Mit der Erleichterung der Asylprozeduren durch ein dreitägiges Aufenthaltsrecht und die kostenlose Nutzung des öffentlichen Verkehrs, um zu einem Aufnahmezentrum zu gelangen, hat Mazedonien die Transit-Migration beschleunigt: Denn die meisten reisen sofort an die serbische Grenze weiter. Zudem hat der begonnene Bau des ungarischen Grenzzauns den Andrang der Flüchtlinge merklich verstärkt: Viele wollen noch ihre letzte Chance nutzen.


Kann der neue Grenzzaun die Migration stoppen, wie von Budapest behauptet?

Nein, Zäune lenken Migrations-Ströme vielleicht um, halten aber keine Flüchtlinge auf. Ein Teil von ihnen wird zwar versuchen, den Zaun zu überwinden. Aber die meisten werden wohl versuchen, über die angrenzenden Länder nach Ungarn zu gelangen. Vor allem der Druck auf Kroatien und damit vielleicht auch auf Bosnien dürfte sich erhöhen. Eine weitere Option bleibt den Leuten natürlich unbenommen: über das Niemandsland von Serbien aus zu einem ungarischen Grenzübergang zu gelangen – und dort ihren Asylantrag zu stellen.


Was ist dann der Sinn von Ungarns neuer Mauer?


Die Mauer soll verhindern, dass die Leute überhaupt einen Asylantrag stellen können. Aber sie wird nicht errichtet, um die Migration besser kontrollieren zu können, wie von Budapest behauptet. Denn schon bisher wurden fast alle Immigranten von Ungarns Polizei gestellt. Der Zaun löst nichts, dient Premier Orban nur dazu, politisch gegenüber Jobbik zu punkten. Ohnehin bleibt kaum einer der Flüchtlinge in Ungarn. Im letzten Jahr wurden dort 200 Asylgesuche anerkannt - ein Witz. Und auch die Aufnahmezahlen von anderen mittel- und osteuropäischen Staaten wie Tschechien, Slowakei oder Polen sind einfach lächerlich. Ausgerechnet die Länder, aus denen vor wenigen Jahrzehnten noch tausende Menschen nach Westen, aber auch nach Jugoslawien flüchteten, haben nun keinerlei Verständnis für die Flüchtlinge.

Wie ist die Lage der Flüchtlinge im Transitland Serbien?


Es werden immer mehr Flüchtlinge mit schweren Verletzungen oder Erkrankungen in die Krankenhäuser eingeliefert. Manche sind bei Verkehrsunglücken schon zu Schwerbehinderten geworden. Es mehren sich auch die Berichte von Übergriffen gewalttätiger Schlepper. Wir rechnen damit, dass sich die Zahl der Asylanträge hier in diesem Jahr auf 70.000 erhöhen wird. Faktisch bedeutet das, dass in diesem Jahr vermutlich 140.000 Menschen auf dem Weg zur ungarischen Grenze ziehen. Die sechs Auffangzentren des Landes haben insgesamt 1100 Plätze. Serbien benötigt Hilfe, alleine wird das Land der Lage nicht mehr Herr.

Österreich und Deutschland haben Grenzpolizisten geschickt. Ist das eine Hilfe?


Nein, das dient wohl nur heimischen PR-Zwecken. Denn verstärkte Grenzkontrollen lösen gar nichts, erhöhen nur die Tarife der Schlepper. Die Aufgefassten, die über die mazedonische Grenze wieder abgedrängt werden, werden es dann halt eben noch ein zweites, drittes oder viertes Mal versuchen, bis sie die Passage geschafft haben. Die Leute verlieren dadurch weder den Willen, noch den Wunsch, die Grenze zu passieren, sondern müssen dafür nur mehr bezahlen und sind gleichzeitig größeren Gefahren und Schikanen ausgesetzt.

Mit welchen Folgen rechnen Sie durch die neuen Zäune auf der Balkanroute?

Es gibt keinen Konsens in der Migrationsfrage in der EU. Und ich fürchte, dass auch andere Staaten wie beispielsweise Kroatien oder Rumänien bald Zäune errichten könnten. Neue Hürden werden die Probleme für die Flüchtlinge, aber auch für Serbien enorm verschärfen. Meine Befürchtung ist, dass es mit den erhöhten Flüchtlingszahlen und den verschärften Kontrollen auf der Balkanroute zu mehr Opfern und zu einer humanitären Katastrophe ähnlich wie zu der auf der Mittelmeer-Route kommt. Mauern sind keine Lösung, um Flüchtlinge und die Gewalt und Übergriffe, denen sie ausgesetzt sind, zu stoppen.

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