Gebrochene Symmetrie der U-Bahnen und B-Mesonen

Verschränkung: Während Tom Cruise in der Staatsoper weilte, trafen sich hunderte Hochenergiephysiker beim Heurigen Fuhrgassl-Huber.

Eine U-Bahn fährt bei der Station Schottenring ein, auf der rechten Seite des Betrachters. Schnitt. Die U-Bahn fährt auf der linken Seite in die andere Richtung. Schnitt. Der Agent (Simon Pegg) nimmt die Brille zur Hand, setzt sie auf, als ob er seinen Augen nicht traute...

Was verblüfft ihn so? Wer sich den Trailer zu „Mission: Impossible – Rogue Nation“ sehr genau angesehen hat, hat eine Erklärung. Die U-Bahn, die in die Station eingefahren ist, unterscheidet sich signifikant von der, die Simon Pegg offenbar davonfahren sieht: Jene ist silbern, diese hat einen roten Streifen, ist also vom neuen, klimatisierten Typ V, während jene vom Typ U (vulgo Silberpfeil) ist. Ein Physiker, dem dieses (unfreundlich als Schnittfehler bezeichnete) Bahnsteigerlebnis – das im fertigen Film und auch im kürzeren Trailer übrigens nicht mehr vorkommt – zuteil wird, fasst es vielleicht so zusammen: Die Wiener U-Bahn ist offenbar nicht invariant in Bezug auf eine Kombination aus Vertauschung von links und rechts und hin und her. Oder: Die Symmetrie ist gebrochen.

Damit wären wir von einem Ereignis, das Wien derzeit, wie Journalisten gern sagen, fiebern und auf dem Kopf stehen lässt, zu einem anderen gelangt, das teilweise zeitgleich in der Wiener Universität passiert. Von der Weltpremiere von „Mission: Impossible“ in der Wiener Staatsoper also zur „European Physical Society Conference on High Energy Physics“, an der über 700 Physiker teilnehmen. Mit zahlreichen Vorträgen, nur ein Beispiel eines Titels: „Study of CP asymmetry in B0-B0mixing using inclusive dilepton samples obtained with the BABAR detector“. Das versteht unsereiner nicht wirklich, aber es geht um etwas Ähnliches wie bei den U-Bahnen im Trailer: um die Frage, ob etwas – hier offenbar eine Reaktion von Teilchen (diesfalls B-Mesonen) – gleich bleibt (invariant ist), wenn sich etwas anderes – diesfalls die Ladung (C) und die Parität (das bedeutet eine Art von räumlicher Spiegelung) – umkehrt.

Solche Dinge erforschen die Teilchenphysiker in ihren riesigen Beschleunigern – auch, um zu erklären, warum es im sichtbaren Universum offenbar viel mehr Materie als Antimaterie gibt. Ohne eine solche CP- Asymmetrie sollte es nämlich gleich viel Materie und Antimaterie geben, sie hätten einander längst vernichtet, und es gäbe gar nichts mehr. Was auch die Mission des Tom Cruise vereiteln würde, sowohl als Filmheld als auch als praktizierender Scientologe des Ranges „Operating Thetan Level VI“.

Ob Cruise das weiß? Egal. Während er sein Abendmahl gestern, Donnerstag, wohl in einem Innenstadtwirtshaus mit Tischtüchern einnehmen musste, haben sich die Physiker im schönen Neustift am Walde beim zu Recht beliebten Heurigen Fuhrgassl-Huber getroffen, den Walter von Hoesslin (1910–1996) geplant hat, Architekt und Bühnenbildner, u.a. an der Staatsoper.

So schließen sich die Kreise, und die Ereignisse verschränken sich, wie sich's in der Quantenwelt gehört. Dass Neustift am Walde am Donnerstag nicht abgesperrt wurde, stört die Symmetrie nur ein bisschen.

E-Mails an: thomas.kramar@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.07.2015)

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