Komplexe Sicht auf spezielle Patienten

(c) Bilderbox
  • Drucken

Wo Ärzte, Therapeuten, Pflegepersonal, psychosoziale und andere Berufe sich gemeinsam fortbilden – mit Fokus auf einzelne Gruppen von Patienten. Drei Beispiele.

Österreich ist bunter geworden. Verband man früher mit „Migranten“ hauptsächlich Zuwanderer aus Ex-Jugoslawien oder der Türkei, so sind es heute Menschen von allen Kontinenten. Auf die Vielfalt von Kulturen, Nationen und Hautfarben stößt man auch in Spitalsambulanzen oder Arztpraxen. Die je nach Herkunftsregion unterschiedlichen psychosozialen Belastungen oder kulturell geprägten Vorstellungen der Patienten stellen nicht nur die Ärzte, sondern auch das Pflegepersonal, Therapeuten, Sozialarbeiter oder Hebammen vor Herausforderungen. Der neue, europaweit einzigartige Masterlehrgang der Med-Uni Wien Transkulturelle Medizin und Diversity Care macht diese Situation zum Thema.

• Kulturelle Hintergründe

Leiterin Christine Binder-Fritz vom Institut für Sozialmedizin freut sich auf eine interdisziplinäre Zusammensetzung: „Ursprünglich wurde der Lehrgang für Ärzte, Psychotherapeuten und Psychologen konzipiert. Nachdem auch andere Berufsgruppen erfreulich viel Interesse zeigten, wurde die Zielgruppe auf Pflegepersonal, Therapeuten, Hebammen und anderes Fachpersonal im Gesundheitsbereich ausgeweitet.“ Der Lehrgang soll von ihren Erfahrungen leben und praxisorientiert sein. Beispiele für Situationen, in denen der kulturelle Hintergrund von Patienten Probleme aufwirft, kennt die Sozialmedizinerin nicht nur aus der medizinischen Praxis, sondern auch aus ihrer langjährigen Forschungsarbeit. Oft spiele dabei die Kommunikation mit den Ärzten eine Rolle. So haben Sprachen wie das Chinesische oder Arabische andere Bilder, um Schmerzen zu beschreiben. Andere wichtige Themen seien etwa Traumatisierungen und Gewalterfahrungen bei Flüchtlingen, aber auch der große Bereich der Frauengesundheit mit unterschiedlichen Körperbildern und Einstellungen zu Ernährung und Bewegung bis hin zu Problematiken wie Genitalverstümmelung. Das Ziel des berufsbegleitenden Lehrgangs: „Den Absolventen soll ihre Arbeit erleichtert werden. Und wir würden uns wünschen, dass sie sich beruflich vernetzen“, so Binder-Fritz. Der Universitätslehrgang startet im Oktober und dauert fünf Semester.

• Herausforderung Demenz

Eine Querschnittsthematik, mit der alle Berufsgruppen im Gesundheitsbereich umgehen müssen, stellen auch Demenzerkrankungen dar. Die seismografisch auf Probleme unserer Zeit reagierende Hollywood-Industrie zeigt mit der aktuellen Alzheimer-Tragödie „Still Alice“, dass demente Menschen inzwischen zum Bild unserer Gesellschaft gehören. Hochbetagte ab dem 85. Lebensjahr sind bis zu einem Drittel von Demenzerkrankungen betroffen, in Österreich, wo heuer von der Regierung die Erarbeitung einer Demenzstrategie in Auftrag gegeben wurde, leiden gut 100.000 Personen daran. Wobei Ungewissheit und Ängste allen Beteiligten schwer zu schaffen machen. Angehörige fühlen sich überfordert, Mediziner hilflos und deshalb außer Obligo. „In der Praxis braucht es Professionalisten, die zusammenarbeiten, damit Lebensqualität ermöglicht werden kann und Lebenspotenziale ausgelebt werden können“, sagt Stefanie Auer, Leiterin des Lehrgangs Demenzstudien der Donau-Universität Krems. Im Mittelpunkt soll ein wertschätzender und personenzentrierter Umgang mit von Demenz oder Alzheimer Betroffenen stehen. Vermittelt werden außerdem neueste Erkenntnisse in der Diagnostik und Ursachenerforschung, evidenzbasierte Behandlungsansätze, aber auch das Kommunizieren dieser Themen. Das Programm richtet sich an alle Berufsgruppen, die mit demenzkranken Menschen konfrontiert sind inklusive Verwaltungsmitarbeiter, Sachwalter oder Juristen. „Unsere Teilnehmer bringen viele Erfahrungen und ganz unterschiedliche Perspektiven ein. Sie beflügeln und bereichern sich dadurch gegenseitig“, sagt Auer. Das erklärt aus ihrer Sicht auch die große Nachfrage nach dem alle zwei Jahre startenden Lehrgang. „Die Teilnehmer sind hungrig nach Information und Methodik. Sie kennen den Leidensdruck von Patienten und Angehörigen und sehen in der Professionalisierung einen Ausweg.“

• Bedürfnisse von Autisten

Ein neuer dreisemestriger Lehrgang zum Thema „Umgang mit Menschen mit Autismus Spektrum Störung (ASS)“ soll in Linz ab Oktober besonders Fachpersonal in der Behindertenarbeit, Psychologen, Pädagogen und alle Interessierten ansprechen. Der Lehrgang wird von der Diakonie-Akademie angeboten. Das Diakoniewerk begleitet seit vielen Jahren Menschen mit Autismus durch Beratung, frühkindliche Förderung und therapeutische Angebote sowie solche bezüglich Kindergarten, Hort, Arbeit und Wohnen. „Menschen im Autismusspektrum haben aufgrund ihrer besonderen Bedürfnisse einen intensiveren Begleitungsbedarf, der nur mit ausreichend Fachpersonal gewährleistet werden kann. Ihre Sensibilität auf Reize verlangt spezielle betreuerische Methoden. Beispielsweise sollten Gruppenaktivitäten in kleinen Gruppen stattfinden und strukturiert verlaufen“, sagt Günther Wesely von der Geschäftsführung der Diakonie-Akademie. Auch die Übergänge von der Schule in die Arbeitswelt beziehungsweise vom Wohnen zu Hause zum Wohnen in einer Einrichtung stellten Herausforderungen dar, denen man mit fachkundiger Begleitung gut begegnen könne. Eine Besonderheit des Lehrgangs sind Praxisberatungstage, an denen Teilnehmer auf Referenten treffen, um einen Fall aus der Praxis zu besprechen, der sie gerade beschäftigt, oder Referenten einen Beispielfall behandeln. Das Programm wird mit einem Zertifikat abgeschlossen.

Web:www.meduniwien.ac.at,

www.donau-uni.ac.at,

www.diakonie-akademie.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.07.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.