Bleib in Bewegung, dann bleibst du am Leben

Wir müssen uns auf Marktveränderungen und Kundenwünsche einstellen, referieren Geschäftsführer gern im Brustton der Überzeugung vor versammelter Mannschaft. Warum tun sie es dann nicht?

Das Schlagwort heißt Agilität: die Fähigkeit einer Organisation, Veränderungen frühzeitig zu erkennen und umgehend darauf zu reagieren. Selbstverständlich sei Agilität wichtig, konstatierten 63 Prozent der 200 von der Managementberatung Kienbaum befragten deutschsprachigen Führungskräfte. Bohrt man jedoch nach, leben gerade 15 Prozent danach.

Warum das so ist, hören die Führungskräfte wohl nicht so gern: Meist sind sie selbst der Bremsklotz, umso folgenschwerer, je weiter oben sie stehen. Sie sollten Beweglichkeit vorleben, orientieren sich aber lieber an alten Zeiten, früheren Erfolgen und dem Prinzip Das-war-schon-immer-so. Sie hängen an vertrauten Routinen und sperren sich gegen neue Prozesse. Sie kommunizieren top-down und halten an zähen Informations- und Abstimmungsstrukturen fest. Sie schieben Entscheidungen vor sich her oder verzögern sie durch langwierige Abstimmungsrunden. Sie verstehen „Change“ als befristetes Projekt statt als Dauerprozess.

Beginnen wir umgekehrt: Wenn Führungskräfte Veränderung mit ihrer Mannschaft anpacken wollen, müssen sie sich auf eine immer gleiche Reaktionsfolge einstellen:

  • Überraschung/Schock
  • Leugnen/Ignorieren
  • Widerstand
  • und erst dann Bewegung

„Diese dritte Phase, der Widerstand, ist der Hebel“, ist Kienbaum-Direktor Manuel Ster überzeugt, „keine Veränderung passiert ohne Widerstand.“

Macht die Führungskraft der Mannschaft jetzt klar, dass das Projekt zwar beschlossene Sache ist, man aber ihre Bedenken gern ausräumen wolle, wird sie die Leute überzeugen. Weicht sie der Mühsal jedoch aus oder überrollt die Mannschaft mit ihren Strategien, wird sich nichts bewegen.

Der Fisch stinkt vom Kopf

Wer solche Konfrontation scheue, sagt Ster, der solle sich vor Augen halten, dass Widerstand zutiefst normal und notwendig ist. Unklug wäre es allerdings, eine Betriebsversammlung einzuberufen und die versammelte Mannschaft aufzufordern, ihre Bedenken zu artikulieren. Dafür eignen sich Kleingruppen und Einzelgespräche besser.

Was aber, wenn die Führungskraft selbst der Bremsklotz ist? Oft passen Selbst- und Fremdbild des Managers nicht zusammen: Der Chef hält sich für agiler als er ist. Diese Diskrepanz können wohlmeinende Vertraute vorsichtig ansprechen. Eine andere Möglichkeit sind interne Social-Media-Plattformen, auf denen Themen anonym angesprochen werden können. Ster: „Wenn Angst herrscht, kommt nicht viel heraus – wie bei vielen Mitarbeiterbefragungen.“

Agilität als Metakompetenz für das gesamte Unternehmen besteht aus drei Faktoren:

Antennen ausfahren: Nimmt das Unternehmen Veränderungen bei Kunden, Wettbewerb, Markt, Technologie und Rahmenbedingungen überhaupt wahr? Oder ist es zu sehr mit sich selbst beschäftigt? Wider Erwarten spornt ein aktiver Mitbewerb mehr an (59 Prozent) als technologische Innovationen (25 Prozent). 

Impulse aufnehmen: Tauscht sich das Managementteam über das aus, was sich draußen tut? Viele CEOs würden sich hier mehr Impulse wünschen, berichtet Ster. 

Schnell reagieren: Agil ist ein Unternehmen, wenn es das, was beobachtet und besprochen wurde, auch schnell in die Tat umsetzt.

Auf einen Blick

Agilität ist die Fähigkeit, sich rasch auf Veränderungen einzustellen. Sie besteht aus Aufmerksamkeit nach außen, Reflektieren der Impulse und rascher Reaktion. Menschen begegnen Veränderung immer erst mit Überraschung, dann mit Leugnen, mit Widerstand und schließlich mit Akzeptanz. Das gilt auch für Führungskräfte: Meist halten sie sich für agiler, als sie sind. Erst müssen sie ihre eigenen Widerstände überwinden, bevor sie mit neuen Projekten vor ihre Mitarbeiter treten. Hier hilft das Feedback von Vertrauten, aber auch der Spiegel interner Social-Media-Plattformen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.08.2015)

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