Analyse: Der Blindflug der Amerikaner in Syrien

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Seit Jahren versuchen die USA, Rebellengruppen gegen das Assad-Regime zu stärken. Doch es reiht sich eine Fehleinschätzung an die nächste.

Noch glänzt und blitzt alles, bevor die 34 Geländewagen der 30. Division im türkischen Killis die Grenze nach Syrien überqueren. Die teuren Wagen sind nagelneu, auch die Flakgeschütze auf den Ladeflächen. Es gibt reichlich Munition, moderne Funkgeräte, GPS-Sender und Nachtsichtfernrohre. Jeder der 54 Männer des Konvois hat ein 45-tägiges Training der US-Armee in der Türkei hinter sich. Dafür wurden den Kämpfern ein M16-Gewehr in die Hand gedrückt sowie 400 Dollar und 400 türkische Lira. Nun sind sie auf ihrer ersten Mission und gleich völlig auf sich allein gestellt.

Sie sollen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) bekämpfen. Und es passiert, was passieren musste. Nach zwei Wochen sind fünf Männer der „Neuen Syrischen Kräfte“, wie sie die USA nennt, erschossen worden. Mindestens 14 wurden gekidnappt, darunter zwei ihrer Anführer. Und das, bevor überhaupt ein einziger IS-Kämpfer in Sichtweite kam. Die 30. Division wurde von der Nusra-Front, dem offiziellen al-Qaida-Ableger in Syrien, angegriffen. Sie hatte bereits im Herbst alle Rebellengruppen, die von den USA unterstützt wurden, vertrieben oder ganz vernichtet. Die neue US-Mission ist ein Desaster, bevor sie noch begonnen hat.

Das Pentagon schickte Mitte Juli die „moderaten“ Rebellen nach Syrien, obwohl klar war: 54 Mann richten militärisch nichts aus. Als Freunde Amerikas stehen sie auf der Abschussliste extremistischer Gruppen. Das Himmelfahrtskommando der 30. Division ist der letzte Höhepunkt einer langen Reihe von Fehleinschätzungen.

Waffen landeten bei al-Qaida

Seit Beginn des syrischen Bürgerkriegs hatte Amerika versucht, die Spreu vom Weizen zu trennen: Wer ist moderat und wer radikal islamistisch? Dabei traten sie von einem Fettnäpfchen ins andere. Das Pentagon lieferte Waffen an vermeintliche Freunde in Syrien, und wenig später landeten sie bei al-Qaida-nahen Gruppen. Der CIA schätzte die IS-Terrormiliz völlig falsch ein und wurde so von deren Invasion in Mosul überrascht.

Ähnliches passierte im Mai, als die Extremisten die irakische Stadt Ramadi einnahmen. Das Pentagon hatte vergessen, Panzerabwehrraketen an den Irak zu liefern. Sie sind ein ideales Mittel gegen Selbstmordattentate. Das ist die Hauptwaffe des IS, die auch in Ramadi entscheidend zur Eroberung beigetragen hat. Zwei Tage nach dem Fall der Stadt kamen dann die Panzerabwehrraketen aus den USA im Irak an. Wie können derartig dilettantische Fehler passieren?

Jedes Kind in Syrien wusste, was mit der 30. Division passieren würde. Dabei geht es um ein 500 Million Dollar teures Projekt, das mit Verspätung erst im Mai dieses Jahres angelaufen ist. Laut Plan sollten jedes Jahr 5000 moderate Rebellen ausgebildet und bewaffnet werden. Bisher hat man es nur auf 54 gebracht, deren Leben man nun leichtfertig aufs Spiel setzte – als gäbe es noch tausende andere. Aber das Gegenteil ist der Fall.

„Wir befinden uns im Anfangsstadium unseres Programms“, gab US-Verteidigungsminister Ashton Carter bei einer Anhörung im Senat zu. Bisher habe man 7000 Freiwillige sondiert. Die müssen allerdings gewisse Standards erfüllen und vom Geheimdienst überprüft werden. „Die Zahlen sind weitaus geringer, als wir gehofft hatten“, erklärte Carter desillusioniert.

Das ganze Projekt scheint ein einziges Desaster zu sein. Das Pentagon sitzt nun in einer Zwickmühle. „Denn Partner auf dem Boden sind essenziell im Kampf gegen den IS“, wie Verteidigungsminister Carter sagte. Die USA wollten moderate sunnitische Rebellen, um den IS zu bekämpfen. Damit scheint es vorerst vorbei zu sein. Die einzig verlässliche und erfolgreiche Kooperation besteht mit der syrischen Kurdenmiliz YPG. In den vergangenen beiden Monaten konnte sie mithilfe amerikanischer Luftunterstützung bis 40 Kilometer an die Stadt Raqqa herankommen, die Hauptbasis der Extremisten. Aber Washington will keine kurdischen Truppen, die in die hauptsächlich von Sunniten bewohnte Stadt einmarschieren. Ethnische und religiöse Konflikte zwischen Bevölkerungsgruppen sollen vermieden werden. Aber woher nimmt man dann den fehlenden Partner?

Radikale boten sich in Zeitung an

Im Juli hatte sich Ahrar al-Sham in einem offenen Brief in der „Washington Post“ selbst als Partner vorgeschlagen. Die Unterscheidung von moderaten und radikalen Rebellen sei kontraproduktiv, schrieb Labib al-Nahhas, verantwortlich für außenpolitische Beziehungen der Gruppe. Er nannte Ahrar al-Sham, die Freien Männer Syriens, eine „Mainstream-Bewegung, die an eine moderate Zukunft Syriens glaubt“. Fälschlicherweise sei sie mit al-Qaida in einen Topf geworfen worden. Dabei steht fest, die Freien Männer hatten und haben noch Beziehungen zu al-Qaida. Heute kooperieren sie eng mit der Nusra-Front, die kein Hehl aus ihrer Zugehörigkeit zu al-Qaida macht.

Schutz durch die Luftwaffe

Den USA bleiben nicht viele Wahlmöglichkeiten. Wirklich relevante moderate Rebellengruppen existieren nur im Süden Syriens in der Region von Dara. Aber die USA brauchen welche im Norden. So blauäugig allerdings wird Washington nun doch nicht sein und eine auch nur lose Koalition mit Ahrar al-Sham eingehen. In der Not frisst der Teufel auch Fliegen, aber das wäre doch zu viel.

Nun haben die USA beschlossen, erst einmal das wenige zu schützen, was noch übrig ist. Präsident Barack Obama hat einen neuen Erlass verkündet. Demnach wird die US-Luftwaffe autorisiert, die von Amerika trainierten syrischen Rebellen gegen Angriffe von Terroristen und des Assad-Regimes zu verteidigen. Es gab bereits Bombenangriffe auf Stellungen der radikalen Nusra-Front, die erneut Mitglieder der 30. Division entführte. Kurzfristig mag das den Interessen der USA dienen.

Aber schon mittelfristig wird der neue Präsidentenerlass negative Konsequenzen haben. Die Nusra-Front wird weitere Bombardierungen nicht einfach so hinnehmen. Al-Qaida im Jemen hat erst jüngst Attentate auf die USA angekündigt. Es wäre nur eine Frage der Zeit, bis sich die Nusra-Front an der Planung und Ausführung von Anschlägen beteiligt. Es ist eine Kettenreaktion. Und die hätte sich leicht vermeiden lassen können. Warum haben die USA so voreilig und blindlings 54 ihrer moderaten Rebellen nach Syrien geschickt? Und das ohne jeden Schutz, mitten ins islamistische Haifischbecken.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.08.2015)

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