Nordkorea: Diktator Kim befiehlt den Kriegszustand

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FILE NORTH KOREA SOUTH KOREA TENSIONAPA/EPA/RODONG SINMUN
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Pjöngjang versetzt seine Truppen an der Grenze in Gefechtsbereitschaft und droht Südkorea mit einer militärischen Konfrontation. Die Eskalation zielt auch auf die internen Widersacher des Machthabers im Norden.

Pjöngjang/Tokio. Was mit einem Krieg der bösen Worte begann, ist zu einer handfesten Krise eskaliert – mit dem Potenzial einer bewaffneten Konfrontation. Am Freitag versetzte Nordkoreas Diktator, Kim Jong-un, seine Grenztruppen in höchste Gefechtsbereitschaft. Das Militär sei in einen Quasi-Kriegszustand eingetreten, vermeldeten die Pjöngjanger Propagandamedien. Die Kommandanten der Volksarmee seien an die Front befohlen worden, um die „Werkzeuge der psychologischen Kriegsführung des Feindes zu zerstören“.

Gleichzeitig droht das kommunistische Regime Südkorea mit einem Überraschungsangriff, falls Seoul nicht binnen 48 Stunden seine „Propaganda an der Grenze einstellt“, hieß es im Staatsradio Nordkoreas. Das Ultimatum wurde bereits am Donnerstag verkündet und läuft demnach heute, Samstag, aus.

Gegenseitiges Anschreien

Ausgangspunkt dieser neuerlichen Konfrontation ist eine etwas undurchsichtige Aktion Südkoreas. Seouls Militär ließ vor knapp zwei Wochen seine an der demilitarisierten Zone zwischen beiden Koreas entlang des 38. Breitengrades stationierten Riesenlautsprecher wieder einschalten. Auch der Norden verfügt über solche Dröhn-Batterien. Darüber befeuern sich in Krisenzeiten beide Seiten mit üblen Beschimpfungen, Drohungen und Kriegspropaganda. Vor elf Jahren ist dieses gegenseitige Anschreien einvernehmlich beendet worden.

Statt sich wie üblich als Antwort auf diesen zwar ohrenbetäubenden, aber militärisch relativ harmlosen Krieg der bösen Worte einzulassen, schoss der Norden dieses Mal mit Raketen auf die Lautsprecher. Südkoreas Artillerie feuerte mit 29 Schuss zurück. Nach südkoreanischen Angaben schlugen die nordkoreanischen Geschosse an elf Zielen ein.

Beide Seiten vermelden allerdings, dass keine Schäden angerichtet wurden. Es wurde auch niemand verletzt, Nordkorea bestreitet sogar den Beschuss. Das bedeutet nach Einschätzung von Yang Moo -jin von der Universität für nordkoreanische Studien, „dass zumindest bis zu diesem Zeitpunkt niemand einen ernsthaften Waffengang vorhatte. Die Gefahr eines Krieges ist deshalb noch sehr gering.“

In Südkorea nimmt man die Drohungen dennoch sehr ernst. Immerhin hätten sich die Spannungen deutlich erhöht, nachdem zwei südkoreanische Soldaten vor zwei Wochen auf Patrouille bei einer Explosion von mutmaßlich nordkoreanischen Landminen verletzt wurden. Seoul wirft Pjöngjang vor, diese Sprengkörper heimlich auf der anderen Seite vergraben zu haben, um Provokationen heraufzubeschwören.

Als Gegenmaßnahme kündigte Seoul an, den südlichen Zugang zur gemeinsamen Sonderwirtschaftszone Kaesong abzuriegeln. Nur in dringenden Geschäften dürften Südkoreaner in diese nordkoreanischen Enklave einreisen, wo etwa 53.000 Nordkoreaner für 120 südkoreanische Firmen arbeiten. Der Industriekomplex ist die wichtigste Devisenquelle Pjöngjangs.

Politische Beobachter vermuten einen Zusammenhang mit dem laufenden südkoreanisch-amerikanischen Manöver Freedom Guardian. Im Mittelpunkt dieser traditionellen Kriegsübungen stehen auch in diesem Jahr computergestützte Simulationen eines Krieges auf der seit 65 Jahren geteilten koreanischen Halbinsel. Darüber hat sich Nordkorea unter anderem auch beim UN-Sicherheitsrat beschwert und reagiert nun seinerseits mit „gnadenlosen Schlägen“.

Solche militärischen Pro-forma-Scharmützel hat es zwischen beiden Koreas, die sich seit dem Bürgerkriegsende 1953 noch immer formell im Kriegszustand befinden, in der Vergangenheit oft gegeben. Manchmal zogen beide Seiten schnell zurück. Aber nicht immer gingen die Konfrontationen harmlos aus. Mehrfach waren Dutzende Tote zu beklagen, zum Beispiel bei der Versenkung eines südkoreanischen Kriegsschiffes 2010.

Demonstration der Stärke

Nordkorea-Experten sehen auch einen anderen Zusammenhang und vermuteten innenpolitische Spannungen in Pjöngjang. So versuche Jungdiktator Kim Jong-un fieberhaft, noch vor dem 70. Jahrestag der Parteigründung am 10. Oktober Stärke zu demonstrieren und Widersacher in den eigenen Reihen auszuschalten. So soll er seinen Vize-Premier Choe Yong-gon exekutiert haben, weil dieser ihm öffentlich widersprochen hatte.

AUF EINEN BLICK

Die demilitarisierte Zone wurde 1953 nach dem Koreakrieg eingerichtet und trennt Süd- und Nordkorea. In ihrer Mitte verläuft die militärische Demarkationslinie als Grenze. Die Zone ist 248 km lang und etwa vier km breit. Dort stehen sich Soldaten beider Seiten gegenüber.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.08.2015)

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